Heinz Labensky - und seine Sicht auf die Dinge by Tsokos Michael; Tsokos Anja; Prof. Dr
Autor:Tsokos, Michael; Tsokos, Anja; Prof. Dr. [Tsokos, Michael; Tsokos, Anja; Prof. Dr.]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Droemer eBook
veröffentlicht: 2024-02-02T00:00:00+00:00
20
RAF
Der Anblick lieà die Zeit stillstehen, musste etwas Hypnotisches haben. Die drei Freunde standen da wie geblendet, ja wie vollkommen verzaubert, als hätten sie gerade einen Schatz entdeckt.
Irgendwann, halb nackt, sie hatte sich nur die Stiefel wieder angezogen, kletterte Gudrun auf die kochend heiÃe Motorhaube des Moskwitsch. Wie eine trinkende Giraffe beugte sie sich mit ihrer Fotokamera über das weltberühmte SchieÃeisen auf dem nicht weniger berühmten Sowjetstern. Ehrfürchtig drückte sie auf den Auslöser, um dieses zufällige Motiv, wozu auch immer, festzuhalten.
Labensky, mal wieder gerade noch davongekommen, verstand die Aufregung nicht ganz, aber es war ihm auch egal. Sobald die Knipsereien erledigt waren, nahm er das Kriegsgerät rasch wieder an sich und verstaute es im Kofferraum, da, wo es hergekommen war. Am liebsten hätte er es an Ort und Stelle gleich verschrottet und einfach im Müggelsee versenkt, aber damit keine Halbstarken so eine Waffe in die Finger kriegten, damit herumfuhrwerkten und wer weià was anstellten, behielt er sie vorerst lieber bei sich.
Manchmal reichte ja der dümmste Zufall, dass daraus eine Katastrophe wurde. Manchmal, dachte Labensky, genügten die harmlosesten Ereignisse, dass buchstäblich ein Funke übersprang und aus einer blauäugigen Mücke einen tollwütigen Elefanten machte.
Während die drei Freunde sich noch diebisch über ihre Entdeckung freuten, glitt Labenskys Blick über den Müggelsee. In der Ferne krauchten Ruderboote und Ausflugsdampfer über das Wasser, und ein paar Buchten weiter, dort, wo Badegeschrei herkam und wo die offiziellen Badestrände und HO-Gaststätten lagen, musste sich auch das legendäre Gasthaus »Rübezahl« befinden. Eine Schankwirtschaft, deren Namen jeder im Osten kannte. Eine Lokalität, die legendär war, weil der Arbeiter- und Volksaufstand im Jahre 1953 genau dort, in einem stinknormalen Biergarten, begonnen hatte.
Der landläufigen Legende nach, an die Labensky im Beisein der drei aufständigen Revoluzzer jetzt natürlich denken musste, waren es damals rund einhundertvierzig Arbeiter der Bau-Union gewesen, die mit ihren Familien an einem Samstagmorgen an der Berliner Jannowitzbrücke zum Betriebsausflug abgelegt hatten, bei herrlichem Sonnenschein und mieser Stimmung. Auf den Fahrgastschiffen »Triumph« und »Seid bereit«, so ging die Legende, schipperten sie raus zum Müggelsee, während an Bord über bevorstehende Normerhöhungen und Lohnsenkungen diskutiert wurde, die die Partei des GroÃen Vorsitzenden am Tag zuvor beschlossen hatte.
Am Ausflugslokal Rübezahl angekommen, wurde deftig gegessen und kräftig getrunken. Bei Korn, Pfefferminzlikör und Gerstensaft gingen die Besprechungen zunehmend hitzig weiter, wurden allmählich die Zungen locker. Die Empörung schaukelte sich mit den Stunden hoch, bis im Biergarten die Wut kochte und manch einem der Kragen platzte. Und irgendwann, zu gar nicht mal so fortgeschrittener Stunde, stieg ein entweder sehr mutiger oder sehr vollgetankter Maurerbrigadier, der wohl die Schnauze voll hatte â sein Name war Alfred Metzdorf, stämmig, fünfundvierzig Jahre alt â auf einen Gartentisch und redete von »Streik«.
Laut angeblichen Stasi-Protokollvermerken angeblich ebenfalls anwesender Schlapphüte von Mielkes Firma wurde Metzdorf unverzüglich vom Tisch gezogen und daran gehindert, weiterzureden. Der Aufruf zur Arbeitsniederlegung jedoch, nur einmal unverhohlen ausgesprochen, war nun in der Welt, und so verweigerten Metzdorfs Kollegen schon am darauffolgenden Montag auf ihrer Baustelle in der FriedrichstraÃe die Maloche. So standen einen Tag später wie als Signal
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