Genoveva by Hebbel Christian Friedrich

Genoveva by Hebbel Christian Friedrich

Autor:Hebbel, Christian Friedrich
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2023-12-30T00:00:00+00:00


Vierter Akt

Erste Szene

Halle im Schloß, wie im zweiten Akt

KATHARINA

tritt auf.

Er ging zum Turm! Es ist das erste Mal!

Wie wirds ihm sein, wenn er sie wieder sieht!

GOLO

kommt von der andern Seite.

Weib! Ist sie tot?

KATHARINA

Tot?

GOLO

War es ihr Gespenst,

Das ich erblickte, oder war sies selbst?

KATHARINA

Mich überläufts. Sie wird doch nicht – – Du machst

Mir Angst – –

GOLO

Ich spähte durch den Mauerspalt

Hinein. O! O! So stand sie!

Mit einer Pantomime. Übers Kind

Gebeugt, ein Geist, der eine letzte Pflicht

Erfüllen mögte und nicht kann; die Brust

Dem stummen Bettler reichend, der sie nicht

Ergriff, weil sie verwelkt und trocken war;

Doch sie nicht weichend, starr und regungslos

Verharrend, nicht einmal den Augenstern

Bewegend, wie versteinert durch den Blick

Des abgezehrten Säuglings, und ihn selbst

Versteinernd durch den ihrigen – – ich hielts

Nicht aus, sie anzusehn, ich wandte scheu

Das Auge ab, statt ihrer sah ich nun

Ein schlechtes Brot und einen Wasserkrug

Und in der Ecke eine Schütte Stroh.

KATHARINA

Tratst du nicht ein?

GOLO

Du meinst, um ihr den Kopf

Herabzuhaun und ihrer Qual das Ziel

Zu setzen? Nein! Ich stürzte schaudernd fort.

So mag der Mörder, der den letzten Blick

Aufs blutge Opfer warf, von dannen fliehn;

Er denkt nicht mehr ans Plündern und vergißt

Des Mordes Zweck, nun er den Mord vollbracht.

KATHARINA

Du selbst befahlst das alles. Hör mich an.

Des Abends spät warfst du sie in den Turm,

Am nächsten Morgen stieg ich, in der Hand

Den Becher Wein, den ich für sie gezapft,

Zu ihr hinab. Als ich der ehrnen Tür,

Die in die Tiefe führt, mich näherte,

Flog sie mit Krachen auf, du tratst heraus,

Dein Antlitz glühte, schrecklich war dein Blick,

Und düstre Schauer des Entsetzlichsten

Durchzuckten eiskalt mir Gehirn und Brust.

»Was soll das noch?« So riefst du, mir den Wein

Entreißend und den Becher an der Wand

Zerschmetternd. »Brot und Wasser ziemt sich hier,

Dazu ein Bett von Stroh und weiter nichts.«

Ich sah dich an. »Du zweifelst? – riefst du dann –

Sie selbst hats mir gesagt, nun glaubst dus doch?

Drum bring ihr Brot und Wasser, bring ihr Stroh,

Und bei dem Teufel, der den Meineid rächt,

Dem, der ihr mehr gibt, geb ich weniger!«

GOLO

Ich weiß. Du aber weißt nicht, was im Turm

Vorher geschah. Vernimm es jetzt. Ein Traum

Hatt mir in jener Nacht mein Innerstes

Enthüllt, wie wohl ein Licht, ins Schlangennest

Gestellt, den grausen Würmerknäul erhellt.

O, welch ein Traum! Mir war, als säh ich sie

Mit aufgeschnittnen Adern vor mir stehn,

Bleich, totenbleich; ich hatt ihr das getan,

Dieweil sie schlief, sie aber wußt es nicht;

Aus allen Adern blutete ich selbst,

Denn mir, wie ihr, riß ich sie auf; sie sah

Nur meine Wunden, ihre nur sah ich,

Mitleidig trat sie auf mich zu und schloß

Die Ader, die am stärksten sprudelte,

Mir mit der Hand, ich drückte meinen Mund

Auf ihren aufgeschlitzten Puls, den Strom

Des Lebens rückwärts drängend in sein Bett.

Doch, für uns beide wars zu spät, sie sank,

Ich sank mit ihr, und sah ihr ins Gesicht

Und sparte meinen letzten Odemzug,

Bis sie den letzten Odemzug getan.

KATHARINA

Ha! Fürchterlich! Mir ist, als säh ich das!

GOLO

Nun waren Haß und Liebe ausgesöhnt,

Der Haß fand in der Wunde, die er schlug,

Sein süßes Grab, die Liebe, die umsonst

Zu heilen suchte, was unheilbar war,

Verging in Tränen, und ein höheres

Gefühl, das alle beide lind vereint,

Ein uranfänglich-allumfassendes,

Zog, wie auf Wogen, tief und tiefer mich

Hinunter in die Nacht, wo man vergißt.



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