Frau hinter Hecken by Jana Revedin
Autor:Jana Revedin [Revedin, Jana]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Styria Premium Verlag
veröffentlicht: 2014-01-15T23:00:00+00:00
Als Sylvie mit der Hündin vors Haus trat, kreuzten drei junge Rehe die Waldlichtung und verschwanden in den feuchten Wiesen des Bachgrunds.
Ihre weißen Spiegel zeichneten feine Zickzackfährten in die Dunkelheit.
Sylvie hatte keine Ruhe, es war nach Mitternacht, doch sie musste nachschauen, was im Haus in der Bachsenke vor sich ging.
Die Hündin war aufgeregt bei all den nächtlichen Gerüchen, genau wie Sylvie bei all den nächtlichen Worten.
Sie kamen zur kleinen Einfahrt, schauten über das Mäuerchen zum Küchenhof. Finster, nichts rührte sich. Isolde Schwartz konnte hier sein, im Dunkeln den Weg zurück zu sich selbst suchen oder den Weg endgültig weg von sich selbst.
Womöglich hatte sie den schon vorbereitet: eine Hand voll Tabletten, ein Fläschchen Säure, eine erprobt scharfe Rasierklinge, eine verlässliche Waffe. Sylvie malte sich alle Möglichkeiten aus, die nicht Sich-im-See-Ertränken waren, den Ausweg, den sie schon miterlebt hatte und der in allen Erinnerungen ihres Lebens herumtrieb.
Ja, Isolde Schwartz hatte gut erkannt, dass ihr Leben dem Prinzip der Analogie folgte.
Nicht nur als generelle Reihung von Gefühlen, die unsere Erinnerung ausmachen, sondern ganz speziell als Reihung von gefühlten Toden, die Sylvies Kindheitsgeschichte in eine Geschichte der Verluste verwandelt hatten.
Der Tod ihres Vaters, der am Ende gar nicht ihr Vater war und den sie kaum kennengelernt hatte, als Kleinkind. Ein Unfalltod, Sandsturm über den patagonischen Anden, seine Cessna stürzte beim Anflug auf Bariloche auf die Felsen des Indianerlands.
Der Freitod der Mutter dann, sie trieb im eiskalten See.
Es war ihr jetzt egal, was die Pucklnachbarin denken mochte, wenn sie womöglich an Schlaflosigkeit litt und Sylvie vor dem Haus beobachtete. Sie klingelte.
Und als erwartungsgemäß nichts geschah, stieg sie gemeinsam mit der Hündin über das niedrige Gartentor.
Buchsränder säumten hier die Beete, die voller Frühlingsblüher waren, der Boden knöcheltief von Rindenmulch bedeckt. Dieser Garten war offenbar viel Geld wert, wurde mit viel Geld gepflegt und schien doch leblos, als Sylvie den Küchenerker entlangging. Sie hatte die Taschenlampe dabei, die man an dunklen Winterabenden im Bauernhaus zum Holzholen brauchte, und leuchtete erst zaghaft, dann vollkommen ungeniert in die rabenschwarzen Fenstertüren dieses Erdgeschosses.
Hausfriedensbruch, streng genommen, in einem Haus, in dem Stimmen und Schatten lebten. Ein Fall für die Gendarmerie, wenn die Pucklbäuerin an Schlaflosigkeit und an Verfolgungswahn litt.
Licht!
Sie hatte das Haus umrundet und stand auf der Terrasse der Westseite unter der bei Nacht nicht nur dunklen, sondern sterbensschwarzen Blutbuche. Auch in dem Raum, der auf diese Terrasse ging, hatte keine Isolde Schwartz sterbend am Boden gelegen.
Da war das Licht auf der Eingangsseite!
Wind war aufgekommen, den man hier stärker spürte als oben auf ihrer Waldlichtung, vielleicht hatten die wehenden Baumkronen das Flutlicht in der Einfahrt ausgelöst?
Ein Motor war zu hören, eine Autotür wurde geöffnet, dann zugeschlagen. Jemand rannte zur Haustür, schloss sie auf, ein Licht im Eingang ging an, danach in kurzer Folge alle Lichter des Erdgeschosses.
Ein Mann lief herum, dann die Treppe hinauf, alle Lichter oben gingen an und erleuchteten die Baumwipfel, gespenstisch, hockende Stille, nur der Motor lief vor sich hin. Nach kurzen Augenblicken rannte der Mann in den Keller, Sylvie hörte dumpfe Schritte auf einer Treppe, die Hündin begann nervös zu hecheln, sie drückte sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen Sylvies Knie.
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