Faustus: Die komplette Trilogie (German Edition) by Meyer Kai

Faustus: Die komplette Trilogie (German Edition) by Meyer Kai

Autor:Meyer, Kai [Meyer, Kai]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: MiMe books
veröffentlicht: 2014-07-11T16:00:00+00:00


Kapitel 5

Die Nacht reifte dem Morgen entgegen, und doch zog sich keiner auf sein Zimmer zurück. Wir saßen im Bankettsaal beieinander, schweigend, grübelnd. Faustus war tief in Gedanken versunken, und ich bemerkte, wie Walpurga ihm mehr als einmal misstrauische Blicke zuwarf; vielleicht glaubte sie, er sei der Mörder. Doch das mochte sie auch von uns anderen denken, und Bosch und Nicholas starrten einander und alle Übrigen nicht weniger finster an. In der Tat misstraute ein jeder jedem, Angelina, Faustus und mich ausgenommen – was die anderen nicht daran hinderte, uns zu verdächtigen. Und ich muss gestehen, dass selbst Faustus mir nicht ganz geheuer war. Ich hielt ihn nicht für den Mörder – bewahre! –, doch ich spürte, dass er etwas vor uns verbarg. Irgendetwas beschäftigte ihn, und manchmal blickte er beinahe schuldbewusst.

Ein Dutzend Kerzen flackerten auf der Tafel und spendeten Wärme, wo sonst nur unterkühlte Spannung war. Vor den hohen Spitzbogenfenstern hoben sich die schwarzen Waldwipfel vom ersten Goldglanz des Morgens ab. Der Himmel verlor ganz allmählich seine pechschwarze Tiefe und nahm die Farbe eines bodenlosen Waldsees an, ein unbehagliches Blaugrün.

Niemand sprach. Ich blickte sinnlos in alle Richtungen, hundemüde und doch zu aufgeregt, um einfach schlafen zu gehen. Der verstaubte Kronleuchter baumelte über unseren Köpfen wie eine Riesenspinne am Ende ihres Fadens, die Messingbeine angewinkelt.

Nicholas senkte den Blick und starrte leer vor sich auf die Tischplatte. Sein graues Haar war noch zerwühlter als sonst, sein Rücken gebeugt. Ich spürte kein Mitgefühl für ihn; für die toten Zwillinge schon, aber nicht für ihn. Er würde die Mädchen ersetzen wie ein Paar abgetragener Schuhe. Vorausgesetzt, er überlebte die kommenden Tage.

Es war fast, als seien alle auf ihren Plätzen entschlummert und hätten vergessen, die Augen zu schließen. Wenn einer sich regte, zu heftig die Luft einsog oder gähnte, glich das fast einer Sensation; die Blicke aller wanderten gleich zu ihm hinüber, jeder wartete auf eine Lösung, auf ein Ende der Ungewissheit.

Gerade war ich dabei, wirklich ein wenig einzudösen, als ein schwarzer Schemen durch den Saal schoss, knapp an Nicholas vorüberflog und mit einem sanften Schnurren vor Walpurga haltmachte. Sie ergriff die Katze mit beiden Händen und setzte sie sanft auf ihre Schulter. Das listige Tier schnurrte noch lauter und rieb sich wohlig an der Schwesternhaube seiner Herrin.

Nicholas hieb wütend eine Faust auf den Tisch. Scheppernd erbebten die Kerzenständer. Wahrscheinlich war der Musiker dankbar, endlich einen Grund zu haben, seinem Zorn freien Lauf zu lassen. »Schaff dieses Biest hier raus, Hexe, oder ich schwöre dir, ich drehe ihm den Hals um!«

Zu meinem Erstaunen blieb Walpurga gefasst. »Spar dir deine Verbitterung für denjenigen auf, der sie verdient.«

Nicholas ließ sich nicht beirren. »Fort mit dem Tier, sage ich!«, schrie er. Rund um den Tisch wurden alle aus ihren Gedanken gerissen. Jeder starrte Nicholas, dann Walpurga an. Keiner griff ein, nicht einmal Faustus. Er hoffte wohl, dass einer der beiden in seiner Unbeherrschtheit einen Hinweis auf die Morde liefern mochte, ein verräterisches Wort oder Zeichen.

»Ich warne dich, Nicholas, treibe es nicht zu weit.« Walpurgas Stimme gewann an



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