Enno, mein Bett und ich by Tsainis Kathrin

Enno, mein Bett und ich by Tsainis Kathrin

Autor:Tsainis, Kathrin [Tsainis, Kathrin]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-09-28T16:00:00+00:00


Ich sehe sie manchmal von Weitem: eine große dünne Frau, Anfang fünfzig etwa, die langen grauen Haaren zu einem Dutt hochgesteckt, immer sehr schick angezogen, die Lippen immer knallrot, immer einen langen Chiffonschal um den Hals geschlungen, immer allein – abgesehen von den sechs Hunden, wilden Mischungen aller nur denkbaren Rassen, die um sie herumspringen.

»Das ist Elizabeth Taylor, Malerin oder Bildhauerin, irgendwas Künstlerisches jedenfalls«, raunte mir eine Bekannte zu. Damals hatten wir Enno erst ein paar Monate. Sie erklärte, dass die feine Dame den Spitznamen ihrem hohen Männerverschleiß verdanke. »Und ich habe gehört, dass sie jedes Mal, wenn wieder ein Typ weg war, ins Tierheim gegangen ist, um sich einen neuen Hund zu holen. Sechs Hunde, das muss man sich mal vorstellen. Na ja, sie ist ziemlich durchgeknallt und ziemlich reich, hat angeblich bei einer Scheidung ordentlich abgesahnt.«

Mir war Elizabeth Taylor sofort sympathisch – ich finde exzentrische Künstlerpersönlichkeiten grundsätzlich interessant. Sie rührt mich, wenn sie auf ihren Storchenbeinen inmitten ihrer Meute durchs Gras stakst. Sie wirkt so umwölkt – ein bisschen mysteriös, irgendwie tragisch, vom Schicksal wie von einem Omnibus gestreift, aber nicht zermalmt. In meinem momentanen Zustand fühle ich mich ihr beinahe seelenverwandt.

Auch ich halte mich zurzeit lieber abseits, um nicht danach gefragt zu werden, was wohl ohnehin schon jeder weiß. Rund um die Hundewiese tun sich Geheimnisse schwer damit, Geheimnisse zu bleiben. Und dass die feine Dame ihre Begleiter aus dem Tierheim holt, obwohl sie sich bestimmt Rassewelpen aus bester Zucht leisten könnte, spricht weniger für Durchgeknalltheit als für ein großes Herz.

Ich glaube, Elizabeth Taylor ist ein guter Mensch. Und klug, denn sie weiß schon sehr viel länger, was ich erst jetzt wirklich begriffen habe: Ein Hund, ob winziger Yorkshire Terrier oder kalbsgroßer Neufundländer, kann einem Menschen helfen, den Kopf über Wasser zu halten, kann ihn tragen, weil er jeden Funken Liebe, jedes Quäntchen Zuwendung, alles, was man ihm gibt, tausendfach zurückschenkt.



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