Einer da oben hasst mich by Seamon Hollis

Einer da oben hasst mich by Seamon Hollis

Autor:Seamon, Hollis
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: cbt
veröffentlicht: 2014-04-08T16:00:00+00:00


Irgendwann – ich weiß nicht, wie lange wir geschlafen haben – geht das Licht an, und ich wache auf. Geblendet und orientierungslos schaue ich auf. Bruder Bertrand kommt herein. »Richard«, schmettert er mir entgegen, als müsste er eine voll besetzte Kirche beschallen. »Ich habe etwas für dich.«

Sylvie ist so klein und schmächtig, dass man sie wahrscheinlich gar nicht bemerkt hätte, wäre sie einfach still liegen geblieben. Aber inzwischen wisst ihr ja, dass Diskretion nicht gerade Sylvies starke Seite ist. Eher ist sie das, was meine Grandma als Krawallschachtel bezeichnet. Also setzt sie sich auf, wirft die Bettdecke zur Seite und streckt die Arme in die Luft, sodass ihre nackten Brüste zu sehen sind. Die Narbe dazwischen leuchtet im Neonlicht hellrot. Sylvie scheint das völlig egal zu sein. Ganz langsam zieht sie ihr Tanktop runter, dann schwingt sie genauso langsam die Beine über die Bettkante. Sie lächelt Bruder Bertrand zu und sagt: »Hallo. Richard und ich hatten gerade eine kleine Abendandacht. Wir beten gern zusammen, jeden Abend. Es ist so ein schönes Gemeinschaftserlebnis. Sie kennen ja den Spruch: Ein Paar, das zusammen betet, trennt sich nicht.« Damit geht sie aus dem Zimmer, mit schwingenden Hüften, wie eine etwas zu klein geratene Königin.

Zu behaupten, dass der fromme Bruder sprachlos ist, wäre untertrieben. Genauso gut könnte man sagen, dass der Grand Canyon nur ein Loch im Boden ist. Dem Mann fällt buchstäblich die Kinnlade runter und er lässt sich völlig entgeistert auf den Stuhl neben meinem Bett fallen.

Ich setze mich auf, stopfe das zerknitterte und noch feuchte Cowboynachthemd unter die Bettdecke und ziehe mir die Sternendecke um die Schultern. »Was ist denn so wichtig, dass Sie mich mitten in der Nacht deswegen wecken?«, frage ich.

Sein rotes Haar ist ganz fettig, seine schwarze Kutte voller Senfflecken oder sonst was Gelbem, womit er sich bekleckert hat. Immer noch ganz aus der Fassung, schüttelt er den Kopf und sagt: »Ich muss schon sagen, Richard … Ich kann nicht dulden, dass …«

Ich beuge mich vor und drücke den Notfallknopf. Dann zeige ich auf Bertrands fettes Gesicht. »Wer hat Sie denn gefragt, was Sie dulden und was nicht? Bitte verlassen Sie mein Zimmer, und zwar sofort!« Ich schreie ihn so an, dass ich ganz außer Atem komme, aber ich schreie weiter. »Schon mal was von Privatsphäre gehört, Mann? Das ist ein Grundrecht, das jedem zusteht, und Sie verstoßen jedes Mal dagegen, wenn Sie hier reinkommen. Sie klopfen ja nicht mal an! Und dann legen Sie sofort mit Ihrer dämlichen Predigt los. Aber ich habe Rechte! Ich muss mir nicht gefallen lassen, dass Sie …«

»Was ist denn, Richard?«, fragt Jeannette von der Tür her.

»Dieser Mann ist hier«, schreie ich. »Zu jeder Tages- und Nachtzeit kommt er einfach rein, ohne anzuklopfen, und dann zwingt er mich, mir seinen Scheiß anzuhören. Sagen Sie ihm, dass er rausgehen soll! Ich möchte allein sein.«

Bruder Bertrand steht auf. Zitternd vor Wut. Wenn je einer drauf und dran war, einen kranken Teenager zu schlagen, dann er. Sein Gesicht ist puterrot angelaufen. »Eben warst du aber nicht allein!« Er ist so in Rage, dass ihm beim Reden Spucketröpfchen aus dem Mund spritzen.



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