Eine Nacht, Markowitz by Gundar-Goshen Ayelet

Eine Nacht, Markowitz by Gundar-Goshen Ayelet

Autor:Gundar-Goshen, Ayelet [Gundar-Goshen, Ayelet]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-11-12T00:00:00+00:00


6

Das Kind nahmen sie mit und brachten es zu Sonia. Außer Rachel Mandelbaum hatte niemand gewusst, dass Seev Feinbergs Traurigkeit stetig wuchs und auch seine lebenssprühende Frau verschlang. Für die Dorfbewohner war Sonia noch die Alte: eine Frau, die einen Mann mit Schimpfen und Schmähen aus dem Meer heimholen kann, die nach Zitrushainen duftet und dreist genug ist, um Pferdediebe mit Wolfsgeheul in die Flucht zu schlagen. So eine Frau, dachten sich die Dorfbewohner, als sie das weinende Kind zu ihr trugen, so eine Frau wird schon etwas mit einem Kind anzufangen wissen, dessen Mutter sich in der Fleischerei erhängt hat und dessen Vater Rosen köpft.

Das laute Klopfen an der Tür störte die Totenstille, die sich längst über Sonia und Seev Feinbergs Haus gesenkt hatte. So still war das Haus, dass Fliegen es nicht mehr aufsuchten, weil sie sich ihres raumfüllenden Flügelschlags schämten. Sonia öffnete nicht gleich die Tür. Einen langen Augenblick blieb sie auf dem Sofa sitzen, starrte vor sich hin und versuchte, die Geräusche zu enträtseln. Aber dann übertönte Jotams Heulen das Klopfgeräusch. Ein weinendes Kind. Ein weinendes Kind im Hof vor dem Haus. Ihren eigenen Sohn, Jair, hatte sie schon tagelang nicht mehr weinen gehört. Das Schweigen seiner Eltern hatte auch ihn angesteckt, sodass er kaum noch einen Laut von sich gab. Bald erschien Seev Feinberg aus dem Schlafzimmer. In den letzten Wochen schlief er so schlecht, dass er nicht mehr zwischen Tag und Nacht unterschied, legte sich auf die Matratze, sobald er nur eine Spur willkommener Müdigkeit verspürte. Er schlief für ein paar Minuten ein und erwachte dann wieder, häufig schreiend, manchmal mit zitterndem Leib und schreckgeweiteten Augen. Er war an der Schwelle zwischen Schlafen und Wachen, als er plötzlich Jotams Stimme hörte. Ein weinendes Kind. Ein weinendes Kind im Hof. Sofort stand er auf und ging ins Wohnzimmer, wo er Sonia zur Tür eilen sah. Ein weinendes Kind. Ein weinendes Kind im Hof, und sie liefen ihm entgegen, sei es, um das Kind zu retten, sei es, um von ihm gerettet zu werden – das ließ sich nicht sagen.

Sie waren zu viert. Michael Nudelmann hielt das tobende Kind mit ausgestreckten Armen, wie man einen gefangenen Fuchs abtransportiert. Chaja Nudelmann stellte sich hinter ihren Mann, fühlte sich sehr im Recht und voll der Güte. Jeschajahu Ron stand hinter Chaja und tat so, als sähe er das weinende Kind an, musterte tatsächlich aber ihren Hintern. Seine Frau, Lea Ron, drängte sich zwischen ihn und die Eingangstür und gab vor, sein Treiben nicht zu bemerken. Als Sonia und Seev Feinberg die Haustür aufmachten, drängten alle vier hinein und redeten gleichzeitig. »Verrückt geworden!« »Ohne Zweifel!« »Die ganzen Rosen hat er ausgerissen!« »Noch dazu mit bloßen Händen!« »Das arme Kind, ohne Mutter aufzuwachsen.« »Und mit einem verrückten Vater.« »Und der Kleine selbst hat auch was abbekommen.« »Eindeutig, er weint und weint und hört gar nicht mehr auf!« »Hat den ganzen Weg zu euch nicht wieder aufgehört.« »Und getreten hat er auch und gekratzt, ein richtiges Biest.« »Wirklich ein Glück, dass unser Michael so stark ist.



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