Ein Glas Leben: Kurzgeschichten (German Edition) by Christina Stöger

Ein Glas Leben: Kurzgeschichten (German Edition) by Christina Stöger

Autor:Christina Stöger [Stöger, Christina]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-06-13T22:00:00+00:00


Schutzengel gibt es wirklich

Lauf! Um Himmels Willen, LAUF!, dachte ich bei mir und rannte, so schnell ich konnte. Ich hatte den langen Stoff meines weißen Kleides in den Händen und mit ausgreifenden Schritten rannte ich über den Waldboden. Schnelle Schritte verfolgten mich! Gerade noch war ich auf dieser Party gewesen und der Typ an der Bar hatte mich so komisch beäugt. Ich hatte unheimliche Angst. War mir dieser Typ gefolgt? Warum war ich auch durch den Wald gegangen? Ich hätte doch auch ein Taxi ...

Die Schritte hinter mir wurden immer lauter und jetzt konnte ich auch seinen rasselnden Atem hören. Er schnaufte laut und schien immer näher zu kommen.

Lauf! Nicht aufgeben ... sonst hat er dich gleich, dachte ich verzweifelt, als ich plötzlich über eine Wurzel fiel. Ich hatte doch so aufgepasst, aber sie dennoch übersehen.

„Scheiße!“, schrie ich und wollte mich hochrappeln, doch er war schon über mir, drehte mich auf den Rücken und hielt meine Arme auf den Boden gedrückt. Er war schwer – unheimlich schwer – und hatte enorme Kräfte. Ich hatte eine ziemlich genaue Vorstellung von dem, was nun passieren würde. Ich wusste, dass ich gegen ihn keine Chance hatte – je mehr ich mich wehrte, desto fester drückte er mich auf den Boden und hielt meinen Mund zu.

„Halt's Maul, du Schlampe! Erst mich heiß machen und dann ...“, zischte er mir zu und mir stiegen die Tränen in die Augen. Ich bekam schon fast keine Luft mehr und das Blut wich langsam aus meinem Gesicht.

Aber ich hatte doch nichts getan. Ich kannte diesen Typ gar nicht. Vielleicht verwechselte er mich. Ich wollte ihm sagen, dass, wenn er mich gehen ließ, ich ihn auch nicht verraten würde. Doch wie sollte ich das tun, wenn er mir keine Chance gab? Ganz langsam drückte er mit seinem Knie meine Beine auseinander und schob mein Kleid nach oben. Mein Herz schlug immer heftiger und ich wollte ihn beißen, kratzen, treten – allerdings hatte ich keine Chance, mich auch nur im Mindesten zu wehren. Er machte einfach weiter und ich ... „So geht man nicht mit einer Frau um!“, hörte ich plötzlich eine weitere männliche Stimme rufen und jäh wurde der schwere Körper von mir heruntergezerrt. Eigentlich hätte ich jetzt weglaufen können, doch ich vermochte mich nicht zu bewegen. Wie lang ich dort lag und was alles um mich herum passierte, das konnte ich nicht sagen, denn ich hatte mein Bewusstsein verloren. Ich hatte so sehr gekämpft – und verloren.

„Geht es dir gut? Ist dir nichts passiert? Komm, versuch dich mal aufzusetzen!“

Die Stimme, die mich gerettet hatte, sprach beruhigend auf mich ein und da merkte ich erst, dass ich am ganzen Körper zitterte und Tränen meine Wangen hinunterliefen. Langsam öffnete ich meine Augen und sah – einen Schatten. Einen hellen Schatten, der neben mir am Boden kniete und mich mit weißen Flügeln umfangen hielt. War ich doch schwerer gestürzt, als ich gedacht hatte? Stand ich unter Schock? Was war das? Ich rieb mir meine Augen, doch das Bild änderte sich nicht. „Wer bist du?“, fragte ich neugierig und ängstlich zugleich.



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