Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith by Christoph Marzi

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith by Christoph Marzi

Autor:Christoph Marzi
Die sprache: deu
Format: epub, mobi


Buch II

Spiegel

Kapitel 1

»Verschwiegene Geständnisse«

Die Welt ist gierig, und manchmal ist ein Schrei, ausgestoßen in der Stille, eine Melodie voller Irrsinn und Verzweiflung.

Doch sollte ich den Faden der Geschichte wieder dort aufnehmen, wo er zuvor fallen gelassen worden ist. Ja, zurückkehren sollte ich. Zu den Reisenden in dem luxuriösen Abteil des Train bleu, wie der Simplon-Orient-Express aufgrund seiner dunkelblau-gelben Lackierung seit alters her genannt wird. In jenen Zug, in dessen Innerem sich vor nur einem Tag eine Tragödie ereignet hatte, deren Spuren, das sei hier angemerkt, allesamt getilgt worden waren von den beflissenen Angestellten der Compagnie Internationale des Wagons-Lits. Jenen Zug, in dem sich argentinische und amerikanische Geschäftsleute ebenso in den Gängen trafen wie alle Arten ausländischer Dienstreisender und Diplomaten, Gildevertreter und Tunnelstreicher. Ottomanische Würdenträger in Gehrock und Fes, im Anhang verschleierte Frauen und cafedji bachis, die persönlichen Kaffeemeister, aber auch Speichellecker und Trittbrettfahrer, die im Schatten alt gewordener Leinwandgrößen und Rockstars reisten. Verarmte Adlige und mächtige Gangster und millionenschwere Philanthropen. Dazwischen Adepten der Black Friars und einige Soho-Punks in ihren geflickten Smokings. Eine kunterbunte Mischung von zufällig zusammengewürfelten Leuten, die es alle hinüber zum Kontinent zog.

»Sie wollten mir etwas beichten«, bemerkte Emily, kurz bevor wir in den gewaltigen Bahnhof von Saint-Lazare einfuhren, wo uns Monsieur Maspero erwarten würde.

»Beichten?«

»Nun ja, mitteilen.«

Die Sache mit McDiarmid aus Islington!

»Er misstraute Eliza Holland.« Jetzt, da Emily die Aufzeichnungen gelesen hatte, stand dieser Offenbarung wohl nichts mehr im Wege. »Deswegen habe ich es vermieden, Sie über gewisse Dinge in Kenntnis zu setzen.« Die ganze Fahrt über hatte Emily in dem Notizbuch geblättert, das ihr Eliza anvertraut hatte. Unruhig und fasziniert hatte sie die Zeilen förmlich verschlungen. War, nachdem sie den ersten Teil der Aufzeichnungen gelesen hatte, von Unruhe erfüllt durch den Zug gelaufen und hatte sich in einer Welt wiedergefunden, die einmal Eliza Hollands Welt gewesen war. Luxuriös und dennoch irgendwie verstaubt. Die Brüsseler Teppiche und das Teakholz der Wandvertäfelungen, die großen Panoramafenster und die im Jugendstil gehaltenen üppig verspielten Motive, die Wände und Decke zierten, dies alles atmete den Hauch einer vergessenen Zeit.

»Sie haben es die ganze Zeit über gewusst.«

Emily hielt noch immer das Notizbuch ihrer Freundin in den Händen. Ruhig lag es auf ihrem Schoß. Gerade so, als schliefe es.

»Sie haben es die ganze Zeit über gewusst.«

Fast schon klang es wie eine Anschuldigung.

»Dass sie eine Wiedergängerin ist?«

»Ja.«

Nicht, dass ich ihren Ärger nicht verstanden hätte.

»Ich habe es geahnt.«

Emily zog ein Gesicht.

»Aber Sie kennen sie doch schon so lange.«

»Seit Ägypten.«

Ich seufzte.

»Doch wie gut«, gab ich leise zu bedenken, »kennt man einen Menschen wirklich?« Ich erinnerte mich an den kurzen Rundgang durch das Ägyptische Museum. »Eliza Holland traf uns in Kairo, ja. Und Jahre später lief sie mir in London erneut über den Weg. Damals hatte sie die uralte Metropole bereits kennen gelernt. Sie hatte ihr Antiquitätengeschäft am Cecil Court eröffnet und lebte ihr Leben in London wie so viele andere auch.«

Emily schwieg.

Schaute nachdenklich aus dem Zugfenster, wo eine regentropfenbesprenkelte Welt vorbeizog. Wo eisige Winde erahnen ließen, dass wir uns noch in der Nähe der Atlantikküste befanden.



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