Die Treppe zum Meer by Martha Grimes

Die Treppe zum Meer by Martha Grimes

Autor:Martha Grimes [Grimes, Martha]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-04-30T04:00:00+00:00


33

Er ging durch das üppig ausgestattete, grüne Speisezimmer: dieses Kristall! Dieses Silber! Die Vorstellung gefiel ihm, dies alles wäre sogar für den Fall, dass nur ein einziger Gast es schaffte, zum Abendessen herunterzukommen, so prächtig aufgeputzt. Vielleicht lag im Decken eines schönen Tisches mehr Hoffnung auf Genesung als in der Verabreichung eines neu entwickelten Medikaments.

Vor einem Tisch blieb er stehen, um das zarte Arrangement aus malvenfarbenen Orchideen und Alpenveilchen zu betrachten, leicht an das feine Kristall eines Weinkelches zu tippen, das so zart war, dass es der Glasbläser mit einem Seufzer ins Leben gehaucht zu haben schien, ein Messer anzuheben, das gewichtig war wie ein Gewölbe und schwer lastend wie eine Erinnerung.

Genau dieses Gefühl verspürte er: Erinnerung konnte tatsächlich schwer auf einem lasten. So war es vielleicht den Hooper-Brüdern gegangen. Sie hatten sich am Ende an allzu viel erinnern müssen und beschlossen, lieber an gar nichts mehr zu denken. Melrose setzte seinen Rundgang fort.

Auf der anderen Seite des blauen Zimmers befand sich ein weiterer Salon, in dem die beiden alten Damen immer noch saßen und sich immer noch kein bisschen gerührt hatten. Ob er vielleicht Hilfe holen sollte? Nein, bei der einen hob sich durch ihren Atem soeben die Rüsche am Spitzenkrägelchen ihrer Hemdkrause. Sie zumindest atmete noch, was so viel hieß, dass es die andere vermutlich auch tat.

Der Salon gegenüber dem blauen Zimmer, den er nun betrat, war etwas schmaler und länger und im tiefen Rot eines alten Bordeaux gehalten. Dieser Raum war dunkler und - falls man es so beschreiben konnte - tiefer, wie in Wein getaucht. Die Farben in Bletchley Hall, fiel Melrose auf, waren außerordentlich kräftig - keine Spur von diesen schmalbrüstigen Rohweiß-, Ecru-oder Pastelltönen. Es war, als forderten die Farben einen auf, noch ein Weilchen bei der Stange zu bleiben.

In das rote Zimmer fiel nur wenig natürliches Licht, da es nach Norden hinausging, und so war es auf brennende Lampen angewiesen und Holzscheite im Kamin, die - so wie jetzt - im lodernden Feuer brannten. Wegen des Zusammenspiels von Hell und Dunkel hatte Melrose Tom nicht sofort gesehen, der dort an der Feuerstelle saß. Er hielt die Augen geschlossen oder halb geschlossen und hatte Melrose' Eintreten ebenfalls nicht bemerkt.

Melrose zögerte, er wollte ihn beim Dösen nicht stören.

Als er sich gerade wieder zum Gehen wenden wollte, sagte Tom: »Hallo. Kommen Sie doch herein.« Er saß immer noch in Moe Bletchleys Rollstuhl. Melrose ging zu einem Ohrensessel vor dem Feuer hinüber.

Tom hielt ein Gläschen Sherry in der Hand, die er nun erhob. »Möchten Sie auch einen?«

»Ja, gern. Sagen Sie mir nur, wo er steht.«

»Dort drüben.« Tom deutete auf den Tisch neben einem Fenster, vor dem ein Meer von dunkelroten Vorhängen hing. Melrose entdeckte die Sherrykaraffe inmittten weiterer Karaffen -aus Kristallglas, vermutlich Waterford, im so genannten »Waterford-Blau«, einer einzigartigen Verbindung aus Blau- und Grautönen. Der Tisch war mit den besten und teuersten Sorten von Whisky, Gin und Wodka bestückt. »Da staune ich ja«, sagte er und kam mit seinem Sherryglas wieder - höchstwahrscheinlich Lalique, dachte er in Erinnerung an Marshall Truebloods Lehrstunden.



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