Die Narben der Hoelle by H. Dieter Neumann

Die Narben der Hoelle by H. Dieter Neumann

Autor:H. Dieter Neumann [Neumann, H. Dieter]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-01-01T05:00:00+00:00


21

September

Türkei

Jäh fuhr er hoch und lauschte. Die Armbanduhr zeigte ihm, dass er erst eine Stunde geschlafen hatte.

Die Tabletten wirkten. Die Wunde unter dem Verband schmerzte kaum, solange er den Arm nicht bewegte, und in seinem Unterleib pochte es nur noch verhalten. Davon war er sicher nicht erwacht, so todmüde und zerschlagen wie er in seine Koje gefallen war.

Warum dann?

Durch das offene Decksluk regnete es herein. Das Fußende der Koje war bereits nass. Hatte ihn das geweckt?

Ein scheußliches Geräusch drang plötzlich an seine Ohren, ein lautes Rumpeln, das durch das ganze Schiff lief.

Heilige Scheiße, der Anker slippte!

Alarmiert sprang er aus der Koje und musste sich sofort an der Kajütwand abstützen. Die Akgül stampfte heftig und zerrte an der Ankertrosse. Oben heulte der Wind über das Deck.

Rasch schloss er das Decksluk.

Immer wieder ruckte das Schiff in die Kette ein, dann folgte das rumpelnde Geräusch des Ankers, der holpernd über Grund glitt, bevor er wieder Halt fand.

Aber da war noch etwas … Johannes stutzte und blickte auf seine nackten Füße.

Sie waren nass.

Er stand im Wasser.

Na klar, Regenwasser, beruhigte er sich. Die offene Luke!

Er steckte einen Zeigefinger in die Pfütze und hielt ihn an seine Zunge.

Salzwasser.

»Verdammt«, fluchte er und ging ein paar Schritte in den Salon hinein. Sofort bemerkte er das Wasser, das auf den Bodenbrettern hin und herschwappte. Nicht allzu viel, aber als er sich vor einer Stunde hingelegt hatte, war der Boden trocken gewesen. Ein böser Verdacht keimte in ihm auf. Schnell hangelte er sich zum Salonsofa und inspizierte die Bordwand hinter der demontierten Verkleidung.

Es war nicht zu übersehen: Einer der Leckpfropfen hatte sich gelockert und hielt nicht mehr dicht. Seewasser floss darunter herein, ein Rinnsal zwar nur …

»Steter Tropfen … « murmelte er und spürte, wie Verzweiflung in ihm aufstieg. Er zuckte zusammen, als erneut eine Welle mit lautem Knallen an den Rumpf schlug. Die Akgül bockte und riss den Anker noch einmal ein Stück über den Grund. Aus der Achterkajüte kam ein protestierendes Miauen. Johannes schaute hinein. Die Katze saß auf der Kojenmatratze und blickte ihm verängstigt entgegen.

»Du Ärmste«, sagte er zu ihr, »dein erster Segeltörn steht unter keinem guten Stern, fürchte ich … «

Wie eine Antwort kam ein leiser, kläglicher Laut von ihr. Johannes hielt sich am Türrahmen fest. Mit überraschender Wucht sprang ihn ein mächtiges Gefühl von Mutlosigkeit an und breitete sich sofort in seiner Magengegend aus. Er merkte, dass sich das Monster darüber freute.

Genau das Futter, auf das es lauerte … Karen. Denk an Karen, mahnte er sich streng. »Dein Monster hat nur so viel Kraft, wie du ihm lässt«, hätte sie wieder zu ihm gesagt. »Es kann nicht aus sich selbst heraus existieren, es lebt nur von dem, was du ihm zugestehst.«

Wie wundervoll wäre es, sie jetzt an seiner Seite zu haben, wie gut, jetzt mit ihr reden zu können, in ihre strahlenden Kobaltaugen zu sehen und ihre sanfte Stimme zu hören: »Möchtest du mit mir auf eine Reise zu dir selbst gehen?«

Die Sehnsucht nach ihrer Nähe füllte ihn für einen Augenblick vollständig aus, ließ keinen Platz für andere Gefühle und Gedanken.



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