Die Legenden von Andor – Das Lied des Königs by Stefanie Schmitt

Autor:Stefanie Schmitt [Schmitt, Stefanie]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Kinder- und Jugendbücher
Herausgeber: Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
veröffentlicht: 2015-10-12T16:00:00+00:00

EIN UNVERGESSLICHES MAHL

Als Garz die Bogenbrücke erreichte, war er vollkommen erschöpft und ausgehungert. Sein Proviant war im Kampfgetümmel an der Taubrücke verloren gegangen. Einen Tag und eine Nacht war er im Wachsamen Wald umhergeirrt, und auch heute hatte er den ganzen Tag über nichts als Beeren gefunden, aber die machten ihn nicht satt. Hinter der Brücke, das wusste er, gab es einige Bauernhöfe und Garz hoffte, dort eine Mahlzeit zu bekommen, denn der Weg nach Cavern ins Graue Gebirge war noch weit.

Als die Nacht hereinbrach, suchte er Schutz unter einem umgestürzten Baum. Der Wind blies ihm durch die Kleider und er fröstelte, aber irgendwann schlief er ein.

Am nächsten Morgen erwachte Garz davon, dass sein Magen laut knurrte. Als er sich erhob, wurde ihm schwindlig, und er wusste, dass er ohne etwas zu essen nicht mehr lange durchhalten würde. Er schleppte sich weiter und traute seinen Augen kaum, als er wenig später ein verlassenes Feuer entdeckte, über dem ein dampfender Kessel hing. War das ein Traum? Mit letzten Kräften lief er darauf zu und fand in dem Kessel ein dickflüssiges Gebräu. Es roch merkwürdig, aber das war ihm einerlei. Sein Hunger war übermächtig und ließ ihn alle Vorsicht vergessen. Er schnappte sich die Kelle, die im Gras lag, tauchte sie in den Sud und schlürfte gierig. Auch der Geschmack war eigenartig, aber das störte ihn nicht. Die Suppe war warm und tat seinem leeren Magen gut.

»Na, mein Freund, schmeckt es dir?«

Garz ließ vor Schreck die Kelle fallen. Wo kam diese alte Frau plötzlich her? Er war so sehr mit der Suppe beschäftigt gewesen, dass er sie gar nicht bemerkt hatte. Er sah die Frau entschuldigend an. »Ich hatte solchen Hunger, da konnte ich dieser Köstlichkeit einfach nicht widerstehen.«

»Köstlichkeit, soso«, sagte die Frau, und noch während sich Garz fragte, warum sie dabei so spöttisch lächelte, passierte etwas Sonderbares. Sein Gesicht fühlte sich seltsam an, die Hände kribbelten und seine Knie gaben nach. Er sah die Frau erschrocken an, kippte um und blieb auf dem Rücken im Gras liegen. Er konnte sich nicht mehr bewegen.

»Mein Freund, was du da gerade getrunken hast, sollte eigentlich eine Paste werden, um verspannte Muskeln zu heilen. Wie ich sehe, ist sie aber auch als Medizin zum Einnehmen zu gebrauchen, denn entspannt bist du ganz offensichtlich.« Garz wollte etwas erwidern, doch seine Zunge brachte nur ein unverständliches Lallen zustande.

»Dummkopf«, sagte die Alte belustigt. »Na, das wird dich lehren, einfach ungefragt an irgendwelchen Kesseln zu naschen! Aber mach dir keine Gedanken. In ein bis zwei Stunden sollte die Wirkung nachlassen. Und bis dahin überlege ich mir, was ich mit dir anstelle.« Garz starrte sie entsetzt an. Ihm kam es ganz so vor, als hätte die Frau eine diebische Freude an seiner misslichen Lage. Wer weiß, vielleicht verarbeitete sie ja mit Vorliebe wehrlose Zwerge zu irgendwelchen Pasten?

»Keine Angst. Mein Name ist Reka und ich werde dir nichts tun. Allerdings wirst du mir, wenn deine Zunge wieder zu gebrauchen ist, erzählen, was du hier treibst.«

Reka! Garz hatte von der Hexe gehört, ihre Künste waren weit über die Grenzen von Andor hinaus bekannt.

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