Die Frage nach Gott by Hörster Norbert
Autor:Hörster, Norbert [Hörster, Norbert]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406691140
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
1. Die Lebensbewältigung im Diesseits
Den Gedanken, daß der Gottesglaube für den Menschen schon unter diesseitigem Aspekt eine entscheidende Funktion für die Sinngebung seines Lebens hat, drückt der ehemalige Theologieprofessor und heutige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, in seiner Antwort auf die Frage «Wozu braucht man Gott heute noch?» so aus: «Es wird heute immer deutlicher, daß wir Verläßlichkeit brauchen. Wo finden wir diese – nur in Gott. Auf wen kann ich zurückgreifen, wenn ich plötzlich vor einer ganz schwierigen Entscheidung stehe, wer gibt mir Halt, wer ist verläßlich?» Lehmann meint, es seien diese «Fragen nach dem Leben, nach dem Ende, nach der Gefahr der Manipulation durch die heutigen Möglichkeiten der Naturwissenschaften», die den Menschen eigentlich bewußt machen müßten, «daß wir Geschöpfe sind und daß es einen Schöpfer gibt, den wir nicht einfach beiseite schieben können» (Bild vom 31.5.2000, S. 2). Mit anderen Worten: Wir benötigen Gott, damit wir ein Fundament besitzen, das uns in den existentiellen Lebensfragen sowie in Krisen und Schwierigkeiten Halt und Sicherheit gibt.
Lehmann denkt in diesem Zusammenhang, wie sein Beispiel der Genmanipulation zeigt, mit Sicherheit auch an die Lebensbewältigung in moralischen Fragen. Und diese Einbeziehung von moralischen Fragen in die vorliegende Argumentation für Gott muß nicht unbedingt im Widerspruch zu meinen Ausführungen im vorangehenden Kapitel stehen. Denn der Theist kann meiner These, daß wir Gott für die eigentliche Begründung einer humanen Moral nicht brauchen, durchaus zustimmen, gleichwohl aber der Meinung sein, daß der Mensch in schwierigen und heiklen Fragen der Anwendung der auf andere Weise begründeten Moralprinzipien auf die Weisungen und Ratschläge eines allwissenden und allgütigen Gottes angewiesen ist. Dies könnte insbesondere dort zutreffen, wo unser Handeln langfristige Konsequenzen hat, die wir selber wegen unseres beschränkten Wissens nicht abzusehen vermögen: «Gott weiß besser, was für dich gut ist, als du allein» (Lehmann I, S. 77). Gott könnte insoweit die Rolle eines Experten spielen, der – etwa einem Arzt auf dem Gebiet der Gesundheit vergleichbar – uns sagt, auf welche Weise wir unser Leben in moralischer und sonstiger Hinsicht am besten und gelungensten gestalten.
Aus ähnlichen Gründen wie Lehmann hält auch Horst Köhler, der deutsche Bundespräsident, den Gottesglauben für ein notwendiges Fundament unseres Lebens. In einem Interview erklärt er: «Gott ist für mich sehr wichtig. Es ist gut, wenn Menschen einen Anker haben, der tiefer reicht … als Wirtschaft oder die Frage nach dem neuen Auto» (Bild vom 11.3.2004, S. 2). Es scheint dem Politiker dabei allerdings nicht bewußt zu sein, daß manche Menschen sogar unabhängig von Gott Erfahrungen machen oder Tätigkeiten ausüben, die für sie tiefer reichen als «Wirtschaft oder die Frage nach dem neuen Auto».
Richtig ist ohne Zweifel: Die Menschen haben ein rationales Interesse an möglichst verläßlichen Verhaltensnormen, und zwar sowohl im Bereich der persönlichen Lebensgestaltung als auch im Bereich des menschlichen Zusammenlebens. Wer würde nicht gern ein sicheres Rezept dafür besitzen, wie sich das Ziel eines möglichst erfüllten und glücklichen Lebens für ihn selbst sowie für möglichst viele andere Menschen auf dieser Erde erreichen läßt? Die entscheidende Frage in diesem Zusammenhang lautet, ob das
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