Die Chroniken von Blut und Stein - 01 - Die fünfte Zauberin by Newcomb Robert

Autor:Newcomb, Robert [Robert, Newcomb]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-03-27T00:00:00+00:00

DREIZEHNTES KAPITEL

Noch im Halbschlaf wandte sich Shailiha langsam im Bett um und stützte, während sie sich in den Seidenlaken auf die andere Seite drehte, ihr ungeborenes Kind unwillkürlich mit der Hand ab. Da es im Zimmer dunkel war, machte sie sich gar nicht erst die Mühe, die Augen zu öffnen. Ihr Kind sei etwas ganz Besonderes, hatten ihre Schwestern gesagt, und deshalb sei es wichtig, dass sie während der Schwangerschaft aufs Beste betreut wurde. Mit geschlossenen Augen seufzte sie und versuchte sich zu erinnern – an die Geschehnisse, von denen sie ihr berichtet hatten, all die Geschehnisse, die, wie sie sagten, so schrecklich waren, dass es nur zu verständlich sei, wenn Shailiha sie vergessen hatte.

Seit zwei Wochen war sie jetzt in dem Land, das sie Parthalonien nannten, und abgesehen von der Fahrt über das Meer konnte sie sich an so gut wie nichts aus ihrem früheren Leben erinnern. Selbst große Teile der Fahrt mit Schwester Succiu hierher lagen für sie völlig im Dunkeln. In Augenblicken, in denen sie es am wenigsten erwartete, zuckten manchmal blitzartig Erinnerungen an ein anderes Leben in ihr auf, die sie in Angst versetzten, sie gleichzeitig aber auch faszinierten. Wenn sie versuchte, diese Erinnerungen ihren Schwestern mitzuteilen, schalten sie sie in freundlichem Ton aus und sagten, diese Bilder stimmten nicht und dass sie solle sie lieber vergessen. Sie meinten, diese blitzartig auftauchenden Bilder seien falsche Erinnerungen, die nach einiger Zeit wieder verschwänden. Bald würden sie ihr verraten, wie ihr früheres Leben wirklich gewesen sei. Sie nannten dieses Phänomen hysterische Amnesie und sagten, angesichts dessen, was sie durchgemacht habe, sei ihr Zustand in keiner Weise ungewöhnlich.

Doch sie war sich da nicht so sicher.

Manchmal, vor allem in ihren Träumen, sah sie Gesichter, die ihr irgendwie vertraut vorkamen, und Orte, die sie hier in Parthalonien noch nicht gesehen hatte. Doch sie war nicht imstande, den Gesichtern Namen zu geben – und das beunruhigte sie. Da gab es einen freundlichen Mann mit einem Edelstein um den Hals, eine Frau mit wunderschönem blonden Haar, einen Mann in ihrem eigenen Alter mit dunklem Haar, den sie sehr attraktiv fand, vor allem aber gab es einen anderen Mann mit braunem Bart, der die Hand nach ihrem gewölbten Bauch auszustrecken und sie jedes Mal, wenn sie von ihm träumte, zu rufen schien. Es gab auch noch eine Gruppe von seltsam aussehenden älteren Männern, die alle die gleichen Gewänder und einen merkwürdig geflochtenen Zopf trugen. Trotz der Verschwommenheit ihrer Träume versuchte sie jedes Mal, mit all diesen Gestalten zu sprechen. Doch sie gaben ihr nie Antwort, abgesehen von dem Mann mit dem braunen Bart. Aber auch er bewegte nur die Lippen, ohne dass ein Laut zu hören gewesen wäre. Jedes Mal, wenn die Gestalten näher zu rücken, deutlicher zu werden schienen, erwachte sie und fand sich im Palast ihrer Schwestern wieder. Ich kenne diese Menschen aus meinen Träumen, dachte sie oft bei sich. Aber offenbar sind sie ein Ergebnis meiner Fantasie, wie meine Schwestern sagen.

Sie war gezwungen gewesen, die Namen ihrer Schwestern von neuem zu

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