Dichterliebe: Roman (German Edition) by Morsbach Petra

Dichterliebe: Roman (German Edition) by Morsbach Petra

Autor:Morsbach, Petra [Morsbach, Petra]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: E-Books der Verlagsgruppe Random House GmbH
veröffentlicht: 2013-03-10T23:00:00+00:00


III

REISEN

nicht mehr mit blindheit geschlagen.

unterwegs sein und sehn: ein helleres licht

Wulf Kirsten

Weil ich nicht mehr schlafen kann, breche ich früh auf; es ist bewölkt, immer noch warm, doch trüb. Koffer ins Auto, noch mal zur Faxbox, falls es Absagen gibt, nein, keine Absage, es geht los. Im Windfang steht plötzlich Gabriel vor mir, der von draußen kommt, das Gesicht zerfurcht, tränennaß. »Tot!« flüstert er erstickt. Wir fallen einander in die Arme. »Es tut mir leid!« stammle ich. Vor den entscheidenden Dingen wortlos, der Tag beginnt mit einer Niederlage. Und birgt nur eine Chance: Abfahrt. Bliebe ich, müßte ich mit Gabriel dreißig Klare trinken. Wir umarmen einander nochmals. In seiner Verwirrung küßt er mich auf den Mund.

*

Im Auto höre ich Bruckners Achte. Der erste Satz schneidet in die Seele, der zweite sendet elektrische Wellen durchs Zwerchfell, dennoch, die in Schmerz wie Sehnsucht überbordend genießerische Musik paßt nicht zu Ostfriesland, seinen fahlen Farben, den akkuraten Kanälen, den scharfen Klinkern der nüchternen Dörfer. Ich schalte aus und gebe mich der Flut der Bilder hin, die mit der Flut der Erinnerungen verschwimmt. Ich bin immer gern gereist. Es lenkte mich von mir ab. Und auch wenn ich in jeder Ablenkung auf mich selber stieß, empfand ich die Umwege als Erlösung.

Aber was bleibt?

Meine tschechischen Abenteuer mit Jakob? Das waren Jakobs Abenteuer, nicht meine.

In Bulgarien war ich – was bleibt davon? – allein. Ich erinnere mich an einen Blumenstrauß, der mir von Germanistikstudentinnen überreicht wurde. Ich hatte nie Blumen bekommen, ich wußte nicht, wie man damit umgeht, und eines dieser Mädchen besorgte tatsächlich an der Rezeption des Interhotels eine Plastevase und beschnitt die Stengel in meinem Bad. Ich überredete sie zu einem Kaffee, dann zu einem Spaziergang im Park. Wir saßen auf einer Bank, doch die schöne junge Marija wollte bloß Gedichte hören, eins nach dem anderen, mit einer Dringlichkeit, die erotische Versuche ausschloß. Vor Verwirrung vergaß ich meine eigenen Gedichte und zitierte Brecht und löste sogar mit der Ballade vom ertrunkenen Mädchen Verzückung aus.

Was bleibt von Finnland? Das Blockhaus eines finnischen Hölderlin-Forschers am Polarkreis. Ich kam hungrig abends an, aber der Forscher wollte sich, während draußen in der Dämmerung die Elche brüllten, gleich über Hölderlin unterhalten statt zu kochen. Dann kam die Ehefrau nach Haus, eine sehr schöne Frau, auch sie dachte nicht ans Kochen, sondern wollte erst in die Sauna.

Nach der Wende war der Osten interessanter als je zuvor; ich bereiste ihn mit neuen Augen. Rumänien sah aus wie im Krieg. Schwerbewaffnetes Militär am Flughafen, endlose Kontrollen, alle blickten sich beim Reden um. Ich erinnere verlassene Häuser, gigantische leere Paläste. CeauŞescu hatte interessanterweise eine Schwäche für Gott. Er ließ ganze Kirchen absägen und fünfhundert Meter weiter aufstellen, aber dann fehlten Zeit und Nägel, sie am neuen Ort zu verankern, und keiner wagte sich mehr in ihre Nähe. Kräne verrosteten und fielen auf die Baustellen. Der Dichter Florescu lud mich zu sich nach Hause ein. Er hatte in der Umbruchszeit ein verlassenes Generalshaus bezogen, eine monströse Operettenvilla, und Florescus Großmutter aus dem Dorf stand schwarzgekleidet mit Kopftuch im Garten und briet überm Feuer Paprikaschoten.



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