Der Wolkentempel by Woodhead

Der Wolkentempel by Woodhead

Autor:Woodhead
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
veröffentlicht: 2014-02-02T05:00:00+00:00


31. KAPITEL

Shara marschierte zielstrebig über die Gletscherzunge und schien nicht zu bemerken, dass der Abstand zwischen ihr und den beiden anderen immer größer wurde. Für Bill und Luca war in der Dunkelheit nur noch das Licht ihrer Stirnlampe zu sehen, dem sie unter Mühen zu folgen versuchten.

Bill fühlte die Wunde an seinem linken Bein brennen. Er hing fast mit seinem ganzen Gewicht an Lucas Schulter, der im tiefen Schnee kaum mehr die Balance zu halten vermochte. Der einzige Trost war, dass es hier unten am Gletscherrand weniger heftig stürmte als weiter oben.

Stunden verstrichen. Durch Wolkenlücken fiel Mondlicht. Von Zeit zu Zeit blieb Shara stehen und richtete den Strahl ihrer Stirnlampe auf den Gegenstand, den sie bei sich trug. Dann hob sie den Blick, als suche sie am Himmel nach einer Markierung. Es dauerte eine Weile, ehe Luca ausmachen konnte, dass sie ein Buch mit vergoldetem Einband in den Händen hielt.

«Wohin zum Teufel gehen wir?», murmelte er. «Wenn sie ihren Weg schon von Anfang an kannte, warum hat sie uns nichts davon gesagt?»

Bill antwortete nicht. Er musste Kraft sparen. Er fieberte, und seine Stirn glühte.

Shara schritt weit aus. Der Abstand zwischen ihnen vergrößerte sich auf gut hundert Meter. Luca hatte Bills Stirnlampe aufgesetzt und versuchte im Schein des künstlichen Lichts abzuschätzen, welche Richtung sie einschlug. Es schien, als strebte sie auf eine Gruppe riesiger Felspfeiler zu, die von weitem im Mondlicht wie ein Trümmerfeld aus Tempelruinen aussahen und sich auf einer Länge von mindestens einem Kilometer erstreckten. Dahinter erhob sich eine steile Wand aus Eis.

Luca spähte in die Ferne. Schweiß rann ihm von der Stirn. «So ein Mist», keuchte er unter Bills Last. «Sie führt uns in die Irre.» Er reckte den Hals und brüllte: «Dahinten kommen wir nicht durch. Es wäre besser, wir gingen Richtung Tal!»

Hundert Meter weiter vorn näherte sich Shara dem ersten Pfeiler. Im Näherrücken schienen die Felsen immer größer zu werden, sich ihnen zuzuneigen und nach hinten hin ins Unermessliche auszuwuchern. Shara hielt das Buch vor die Augen und las im Licht ihrer Lampe. Als sie Luca hörte, warf sie einen Blick über die Schulter zurück und wartete. Ihre Zähne klapperten vor Kälte.

«Was hast du vor?», keuchte Luca, als die beiden zu ihr aufgeschlossen hatten. «Hier ist doch kein Durchkommen.»

«Wir müssen die Kooms durchqueren.»

«Die was? Wovon redest du? Und was steht da eigentlich in dem Buch?»

«Ihr müsst mir vertrauen. Ich gebe euch mein Wort darauf, dass wir hier richtig sind.»

Shara kniete sich in den Schnee, legte ihre Hand auf Bills verletztes Bein und prüfte den Sitz des Verbands. Als sie ihn fester zog, schrie Bill vor Schmerzen auf und knickte in den Knien ein. Luca fing ihn auf.

«Ist es noch weit?», fragte Bill mit schwacher Stimme.

«Nein. Aber wir müssen in Bewegung bleiben. Die Infektion schlägt zu.»

Mit diesen Worten stand sie auf und ging weiter, zielstrebig auf einen der Felspfeiler zu. Sie schwenkte den Lichtstrahl der Lampe über den mächtigen Stumpf, warf einen Blick in ihr Buch und schüttelte den Kopf.

«Wonach suchst du?», wollte Luca wissen, doch Shara stieg wortlos bergan und war hinter dem nächsten Fels verschwunden.



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