Der Tag, an dem der Sommer begann by Cohen Julie
Autor:Cohen, Julie [Cohen, Julie]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2017-03-16T00:00:00+00:00
KAPITEL 21
Lydia
Sobald ihre Mutter nach Hause kam, lief Lydia zu Avrils Haus. Sie konnte nur daran denken, was Oma H gesagt hatte. Dass sie ohne Hoffnung oder Verstand geliebt hatte. Dass sie nie einen anderen gefunden hatte, fünfundvierzig Jahre lang. Ihr Gesichtsausdruck, als Lydia die Briefe nach unten gebracht hatte, die Art, wie sie die Umschläge berührt hatte, als wären sie ein Mensch, zerbrechlich und unermesslich kostbar.
Sie hatten nur einen von den acht Briefen gelesen, den mit dem ältesten Poststempel. Er war an Weihnachten nach dem Tod ihres Vaters geschrieben worden, und die Sache war die, dass er so normal klang. Darin standen Neuigkeiten über seine Familie, seine drei Töchter und deren Kinder, die Lydias Cousins und Cousinen waren. Nichts daran deutete darauf hin, dass es sich um den Brief eines Vaters an seinen Sohn handelte, abgesehen von der letzten Zeile: Ich denke oft an dich und hoffe eines Tages auf ein Wiedersehen. Und was die Art betraf, wie Oma H ausgesehen hatte, als Lydia ihn ihr vorgelesen hatte: begierig jedes Wort aufsaugend, mit tränenfeuchten Augen.
Lydia lief schneller. Als sie Avrils Wohnblock erreichte, war sie auÃer Atem und musste sich eine Minute erholen, bevor sie auf die Klingel drückte. Avril erschien beinahe sofort in der Wohnungstür. »Hi«, sagte sie, offenkundig erfreut, und kurzzeitig glaubte Lydia, alles wäre wieder so, wie es letzte Woche gewesen war, vor Harry.
»Hast du Lust, spazieren zu gehen?«, fragte Lydia.
»Ja, klar, ich hole meine Jacke.«
Lydia wartete drauÃen auf sie. Sie selbst hatte keine Jacke dabei, und es war ein wenig frisch, zumal sie verschwitzt war. Sie rieb sich mit den Händen über die Arme, und als Avril nach unten kam, gab sie Lydia ihre pinkfarbene Kapuzenjacke. Sie roch nach Avril.
Sie gingen ein bisschen herum, aus der Wohnsiedlung und quer durch den Park. Lydia wusste nicht recht, was sie sagen sollte, und je länger sie nichts sagte, desto schwieriger war es anzufangen. Beim Laufen hatte sie die vage Vorstellung gehabt zu versuchen, Avril davon zu überzeugen, dass Harry es nicht wert war. Doch Avril lächelte, als hütete sie ein groÃes Geheimnis, und ihre Schritte waren beschwingt.
Eifersucht fühlte sich schrecklich an. Sie war eine brennende Säure, die sie von innen zerfraà und alles Gute zerstörte. Am liebsten hätte Lydia Avril dafür geschlagen, dass sie so glücklich war. Allerdings wollte sie nicht streiten. Sie wollte noch nicht einmal Harry erwähnen, weil Avril ihr anmerken würde, dass sie eifersüchtig war. Aber ganz offensichtlich wünschte Avril sich sehnlichst, dass sie sich nach ihm erkundigte, damit sie einen Vorwand hätte, über ihn zu reden. Sie wollte seinen Namen in ihrem Mund spüren, so wie Lydia manchmal Avrils Namen spürte: Das Summen des Vs an ihren Lippen, der Kuss des Ls auf ihrer Zunge.
»Wie gehtâs deiner Mum?«, fragte Lydia schlieÃlich. »Ist sie zum Elternabend gegangen?«
Es war ein Fehler. Avrils Miene wurde verschlossen. »Nein. Und es geht ihr gut.«
»Ist sie heute Abend unterwegs?«
»Sie arbeitet. Warum erwähnst du sie ständig?«
»Weil ⦠weil du mir etwas bedeutest?«
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich nicht über sie reden will.
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