Der Sommer ohne Maenner by Hustvedt Siri

Der Sommer ohne Maenner by Hustvedt Siri

Autor:Hustvedt, Siri [Hustvedt, Siri]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2011-04-01T10:11:20+00:00


Irgendwann im Lauf des folgenden Gesprächs merkte ich, dass Abigail sich erheblich besser fühlte, denn sie begann mir mit den Augenbrauen Signale zu geben, worauf sie den Blick auf ihren Schoß richtete. Ich hatte keine Ahnung, was das sollte, bis ich sah, dass sie die Hände in die Taschen ihres bestickten Kleides steckte und einen Teil des roten Futters nach außen kehrte. Die Frau trug tatsächlich eine heimliche Vergnügung. In den Taschen ihres Kleides war irgendeine subversive Botschaft verborgen, eine erotische Stickerei oder so etwas, zweifellos vor Jahren entstanden. Ich telegrafierte mein stummes Verständnis der Tatsache, dass das Kleid sozusagen geladen war, eine weitere Geheimwaffe aus Abigails Privatarsenal, und dieses stillschweigende Wissen zwischen uns schien ihr aufrichtige Freude zu machen, denn sie lächelte listig und schickte mir ein paar zusätzliche Augenbrauenhebungen, um unsere Komplizenschaft zu bekräftigen. Dann kam Peg, und nachdem sie die Geschichte gehört hatte, reagierte sie typgerecht, indem sie Abigail als «gesegnet» und meine Mutter als «Heldin» bezeichnete (eine Bezeichnung, die meine Mutter entschieden zurückwies, die ihr aber sichtlich gefiel), und dann wandte Peg sich Robin Womack zu, einem lokalen Fernsehstar mit üppigem Haar. Sie beendete ihre Lobrede mit dem Satz: «Der kann jederzeit seine Schuhe unter mein Bett stellen!» Obwohl ich den Hinweis auf die Schuhe überflüssig fand, vermittelte diese Erlaubnis eindeutig, wie sehr ihr Womack und sein volles Haar gefielen.

Ich bin mir nicht sicher, wie genau wir bei der Lyrik landeten, aber die Schwäne erinnerten sich liebevoll einiger Zeilen, die sie in früheren Tagen bezaubert hatten. Peg wandert' einsam wie die Wolke, und meine Mutter las aus Stevens' «Der Leser» vor, das so endet: «Die düstren Seiten trugen keine Schrift,/Nur der verglüh'nden Sterne Spur/An frost'gem Himmel.» Regina erinnerte sich an Joyce Kilmers unsterblichen amerikanischen «Baum», und ich sagte Ron Padgetts Gedicht «Haiku» auf: «Das ging aber schnell/ich meine/das Leben.» Über dieses Gedicht hatte ich immer lauthals lachen müssen, aber keinem der Schwäne entlockte es auch nur das leiseste Kichern oder Schnauben. Meine Mutter lächelte traurig. Abigail nickte. Pegs Augen wurden glasig, vermutlich von Erinnerungen. Regina schien den Tränen nahe zu sein, doch dann verlieh sie laut der Hoffnung Ausdruck, dass ich «dieses Gedicht» nicht meinen Mädchen gegeben hätte, worauf ich antwortete, die könnten ja doch nichts damit anfangen, weil in ihrem Alter das Leben noch wirklich lang sei. Zeit ist sowohl eine Frage von Prozenten wie von Glauben. Wenn du vor einem halben Leben sechs oder sieben warst, ist die Zeitspanne dieser Jahre länger, als es fünfzig Jahre für einen Hundertjährigen sind, weil junge Menschen die Zukunft als endlos erleben und Erwachsene normalerweise für Angehörige einer anderen Art halten. Nur die Altgewordenen haben Einsicht in die Kürze des Lebens.

Dann teilte Regina mir in einer konfusen, frustrierend andeutungsschwangeren Rede mit, dass einem der Mädchen in meinem Kurs etwas «zugestoßen» sei. Sie konnte sich bloß nicht an den Namen des Kindes erinnern. «Vielleicht Lucy, nein, Janet, nein, das auch nicht.» Aber wie immer das Mädchen auch heißen mochte, Regina hatte die Sache von Adrian Bortwaffles Schwager erfahren, der



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