Der Maler Gottes by Thorn Ines

Der Maler Gottes by Thorn Ines

Autor:Thorn, Ines [Ines, Thorn]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2010-11-06T16:00:00+00:00


9. KAPITEL

Aschaffenburg – Zweitresidenz des Mainzer Erzbischofs Jakob von Liebenstein.

Die Burg steht auf dem Hügel oberhalb des Mains. Von hier hat Matthias den besten Ausblick auf die Mainauen, von hier beobachtet er den Frühling, der langsam Einzug hält. Und hier, auf einem Mauervorsprung hinter der Burgmauer, liest er Magdalenas Briefchen wieder und wieder.

„Lieber Matthias“, schreibt sie. „Du bist so fern, und doch bist du mir so nahe. Jeden Sonntag bete ich in der Kirche für dich, und ich warte. Ich warte darauf, dass du bald wieder nach Frankfurt kommst. Was zusammengehört, kann auf die Dauer nicht ohne einander sein, hat meine Mutter früher immer gesagt. Und deshalb habe ich Geduld. Wenn Gott will, dass wir zusammenkommen, wird er dich bald wieder zurück an den Main schicken. Und vielleicht führt dich dein Weg dann auch zu der Mühle vor den Toren der Stadt. Bis dahin segne dich Gott. Deine Magdalena.“

Magdalena, wenn du wüsstest, wie gerne ich bei dir wäre, denkt Matthias, bricht gedankenversunken den Ast eines Weidekätzchenbaumes ab und fühlt sehnsüchtig mit den Fingerspitzen die flauschige Zartheit der aufgebrochenen Knospe. Der Frühling hat auch in Matthias Einzug gehalten. Die laue Aprilluft streicht über seine Lenden, streicht auch des Nachts durch seine Phantasien. Erregende Phantasien sind es, erregend und doch beängstigend. Am Tage, im Schein der Sonne, verflucht er diese Phantasien, des Nachts aber sehnt er sie herbei. Matthias hört den Boten nicht, der sich langsam durch das Tor in der Burgmauer nähert, und erschrickt fast, als der ihn anspricht: »Gott zum Gruße! Seid Ihr der Maler und Bildschnitzer Matthias aus Grünberg?« Matthias nickt: »Der bin ich. Was wollt Ihr? Was gibt es?«

»Johann von Cronberg, der Viztum, der Stellvertreter des Erzbischofs von Mainz, schickt mich. Morgen um die Vesperstunde sollt Ihr Euch bei ihm einfinden.«

»Warum?«, fragt Matthias, obgleich er weiß, dass der Bote die Antwort nicht kennt.

»Pünktlich zur Vesperstunde«, wiederholt der auch nur, zuckt mit den Achseln und verschwindet beinahe so geräuschlos, wie er gekommen ist.

Zur rechten Zeit betritt Matthias am nächsten Tag die Johannisburg. Er hat sich Mühe gegeben mit seiner Kleidung. Sogar im Badehaus ist er gestern Abend gewesen, hat sich rasieren und das Haar schneiden lassen. Jetzt trägt er einen neuen Umhang aus blauem Tuch, darunter eine Jacke in derselben Farbe und auf dem Kopf einen Filzhut, das teuerste Stück seiner Ausstattung. Im Burghof sieht er sich um. Eifrig laufen Bedienstete hin und her, zwei Hoffräulein, die mit Perlen bestickte Hörnerhauben und reiche Ohrgehänge tragen, hasten zu einer kleinen Kapelle. In einer von ihnen erkennt Matthias die Nichte des Erzbischofs. Ein Höfling mit Schnabelschuhen stolziert über den Hof und hat seine Not, nicht über die langen Schuhspitzen zu stolpern, eine ältere Hofdame schilt mit einer Magd, die einen Korb voller Eier im Arm hat.

Matthias spricht die Wache am Tor an. »Zu Johann von Cronberg will ich«, sagt er, und der Wächter weist ihm den Weg.

Matthias muss nicht lange in den vielen Gängen der weitläufigen Burg umherirren. Schnell findet er die Gemächer des Viztums. Er meldet sich beim Sekretär des Erzbischof-Stellvertreters und wartet im Vorraum auf die Audienz.



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