Der Leuchtturm auf den Klippen by Marie Lamballe

Der Leuchtturm auf den Klippen by Marie Lamballe

Autor:Marie Lamballe [Lamballe, Marie]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-96071-028-8
Herausgeber: Thalia Bücher GmbH, Hagen
veröffentlicht: 2016-04-26T16:00:00+00:00


26

Susanne hockte angezogen im Bett, die Decke über den Knien. Unten am Fußende lag Bri-bri zu einem Kreis zusammengeringelt und schnarchte. Beneidenswert, so ein Hund. Ein wenig Futter, ein warmer Schlafplatz – mehr brauchte er nicht. Ob er sie überhaupt vermissen würde, wenn sie morgen fortging?

Sie verfolgte den Weg des rötlichen Lichts an den Zimmerwänden und machte dann die Augen zu, doch der rötliche Schein drang durch ihre geschlossenen Lider, und auch der Gedanke, dass sie dieses Licht heute Nacht zum letzten Mal sah, half ihr nicht aus der beklemmenden Niedergeschlagenheit.

So hatte es kommen müssen. Sie war selber daran schuld und hatte keinen Grund zu jammern. Morgen würden alle Menschen in Kerlousec sie verabscheuen. Die Betrügerin, die sich unter falschem Namen bei ihnen eingeschlichen hatte. Pfui Teufel!

Aber letztlich war sie doch die gleiche Person. Hatte das gleiche Gesicht, das gleiche Haar, dieselbe Figur. Auch ihre Art zu sprechen, ihre Stimme, ihr Lachen – alles war unverändert. Sie hatte nur einen anderen Namen … Nun ja. Und sie war eine Deutsche. Dazu eine Schwindlerin. Eine deutsche Schwindlerin. Sie ging nicht putzen, sie hatte Abitur und war dabei, ihren Hochschulabschluss zu machen. Und nach dem Willen ihrer Familie würde sie einmal im oberen Management irgendeines großen Unternehmens sitzen und sehr viel Geld verdienen.

So eine passte nicht hierher. Höchstens als Touristin. Drei Wochen Urlaub in einer Luxus-Ferienwohnung. Mit Internet und Fernseher, altes Bauernhaus, voll renoviert und durchgestylt, Pool vor der Hütte, Golf und Tennis gleich nebenan.

Sie stand auf und zog einen dicken Pullover über die Kleidung, dann kroch sie wieder unter die Decke und kauerte sich zusammen wie Bri-bri. Wie kalt es war! Das Meer war fern, hatte sich weit zurückgezogen, nur der Wind heulte um Leuchtturm und Klippen, sang ein endloses, trauriges Lied von ruhelosen Seelen und toten Seeleuten, die in den Nächten umherschweiften, um Erlösung zu finden.

Der Schlaf kam zögernd, umfing sie zuerst mit mancherlei verwirrenden Bildern, zeigte ihr das gutmütige, rundliche Gesicht ihrer ersten Kinderfrau, die fortgeschickt worden war, als Susanne fünf war. Gesine hieß sie, ihr Körper war überall weich, man konnte sich an sie schmiegen und wurde zärtlich angenommen.

»Was hast du nur wieder angestellt, Susanne!«, sagte sie vorwurfsvoll und zog die dunklen Augenbrauen zusammen, sodass sie über der Nasenwurzel aufeinandertrafen.

»Es ist einfach passiert. Ich kann nichts dafür …«

Sie nahm ihr die Puppe aus den Händen und versuchte, den Kopf wieder anzumontieren. Es gelang nicht.

»Nun ist sie kopflos …«

»Ist das schlimm?«

Gesines Mund verzog sich schmal, sie grinste, wurde aber gleich wieder ernst. »Schon. Aber wir machen sie wieder heile …«

Ein Nebel deckte die füllige Gestalt zu, und sie schien sich immer weiter zu entfernen. Susanne streckte im Traum die Arme nach ihr aus, flehte sie an, doch bei ihr zu bleiben. Es half nichts. Gesine verschwand, ging aus ihrem Traum, so wie sie damals aus ihrem Leben gegangen war. Ohne Wiederkehr.

Sie saß am weihnachtlich gedeckten Tisch im Speisezimmer der Potsdamer Villa. Neben der Tür die lebensgroße Statue einer jungen Schwarzen, die einen Teller hielt und vor der sie als Kind schreckliche Furcht gehabt hatte.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.