Der Geist, der mich liebte by Brigitte Melzer

Der Geist, der mich liebte by Brigitte Melzer

Autor:Brigitte Melzer [Melzer, Brigitte]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 978-3-95751-068-6
Herausgeber: hockebooks gmbh
veröffentlicht: 2015-06-25T16:00:00+00:00


10

In dieser Nacht schlief ich. Nicht dass ich das gewollt oder Nicholas mich dazu gezwungen hätte. Aber nachdem wir schließlich ins Haus gingen und ich auf der Couch saß, schlief ich einfach ein. Vielleicht war es der Schrecken, der mir nach dem Überfall noch immer in den Knochen saß, der mir buchstäblich die Füße wegzog. Vielleicht war ich auch einfach nur müde.

Ich träumte eine Menge wirres Zeug. Vieles davon hatte mit dem Kuss zu tun. Und natürlich mit Nicholas. Ein Landstreicher und eine Pistole kamen nicht vor. Stattdessen sah ich mich bei meiner eigenen Hochzeit. Allein, mit einem Brautstrauß, vor einem Grab stehend. Nicholas Crowley stand auf dem Grabstein vor mir. Ein betrunkener Pfarrer, dem der Hals einer Whiskeyflasche aus der Tasche seines Jacketts ragte, vollzog die Trauung. Neben ihm stand ein Bettlaken und klirrte unter schaurigem Heulen mit den Ketten. Wenigstens kam kein Zombie darin vor.

Nüchtern betrachtet wäre dieser Traum sicher unterhaltsam gewesen. Angesichts meiner Situation fand ich ihn weniger komisch. Ich war jung! Ich sollte ausgehen und reisen. Die Welt sehen, etwas erleben. Erfahrungen sammeln. Stattdessen verliebte ich mich in einen Geist, der an einen sehr engen Umkreis gefesselt war! Was war mit Boston? Meinen Plänen für die Zukunft? Ich konnte doch nicht alles über den Haufen werfen wegen eines … eines … eines Toten!

Aber was war mit meinen Gefühlen? Konnte ich wirklich ignorieren, was Nicholas in mir auslöste?

Ich musste dringend ein wenig Ordnung in mein Gefühlschaos bringen. Im Haus würde mir das nicht gelingen. Nicht solange Nicholas ständig an meiner Seite war. Selbst untertags, wenn ich ihn nicht sehen konnte, würde ich nicht die nötige Ruhe finden. Abgesehen davon wollte ich nicht, dass er sah, wie sehr mich das quälte.

An diesem Morgen verbrachte ich mehr Zeit im Bad als üblich. Ich war froh, allein mit mir und meinen Gedanken zu sein. Beim Verlassen des Bades war mir klar, dass ich für ein paar Stunden aus dem Haus musste. Heute würde es keine »Selbstgespräche« geben. Ich brauchte Zeit, um nachzudenken. Abgesehen davon würde mir ein Spaziergang sicher guttun.

Ich ging nach unten und schlüpfte in meine Turnschuhe. Da spürte ich, dass Nicholas an meiner Seite war. Während der letzten Tage hatte ich ständig mit ihm gesprochen, hatte ihm gesagt, was ich vorhatte, was ich dachte oder mir wünschte. Seit ich heute Morgen aufgewacht war, hatte ich noch keinen Ton gesagt. Das war ihm gegenüber nicht fair. Er hatte ein Recht zu erfahren, was in mir vorging. Immerhin betraf es ja auch ihn. Abgesehen davon machte er sich bestimmt Sorgen und schob meine Schweigsamkeit vielleicht sogar auf die Kopfverletzung. Meinem Kopf ging es gut. Im Augenblick bereitete mir mein Herz mehr Kopfzerbrechen.

Vor der Tür blieb ich stehen. »Mir ist nicht schwindlig und auch nicht schlecht«, sagte ich in den Flur hinein, »und es tut auch nicht weh.« Zumindest nicht der Kopf. »Ich will nur ein wenig spazieren gehen.« Ein kühler Hauch streifte über meinen Arm, als wolle er sagen ›Gehen wir‹. Ich schüttelte den Kopf. »Nicholas, ich wäre gerne allein. Ich muss nachdenken.



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