David Knackmanns unglaubliche Vorlesenacht der vierten Klassen. Mit Illustrationen von Thomas Leibe by Hemmann Tino

Autor:Hemmann, Tino [Hemmann, Tino]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fantasy
ISBN: 9783954880461
Herausgeber: Engelsdorfer Verlag
veröffentlicht: 2015-07-29T16:00:00+00:00

Mikkel und das Rad der Zeit

»Nein!«, brüllte in diesem Moment eine hohe Stimme. Mikkel war aufgesprungen. Er richtete seine kleinen Fäuste nach oben. »So einfach machen wir es dir nicht!«

Und schon rannte Mikkel durch den ganzen Keller, riss an einem Schrank mit uralten Fundsachen, bis der krachend und scheppernd umkippte, zerrte einen antiken, schmutzigen Lappen von der Wand und zwängte sich unter den erstaunten Blicken der restlichen Kinder in ein enges Mauerloch, durch das sich einzig und allein er, der kleinste und schmalste aller Jungen, zwängen konnte.

Kurz darauf war Mikkel verschwunden.

»Mikkel? Mikkel!« Fabian leuchtete mit seiner Taschenlampe in den Mauerspalt. Der Lichtschein verlor sich, nichts war zu sehen und zu hören.

»Was hat Mikkel vor?«, flüsterte Moritz.

Alle zuckten mit den Schultern.

»Vielleicht sollten wir das Buch beobachten«, schlug Emilia vor. »Irgendetwas muss ja schließlich passieren.«

Alle flitzten zu den Bänken, Moritz blätterte aufgeregt im Buch. Nach einigen Minuten weiteten sich seine Augen.

»Was denn?«, riefen alle aufgeregt.

Moritz blickte ungläubig in das Buch »Ein Esel lese nie«. Erst Sekunden später flüsterte er: »Die Schrift am Ende von Leonards Kapitel verschwindet. Zeile für Zeile!«

Mit dem Kopf voran zwängte sich Mikkel durch das enge Loch in der Wand. Mittlerweile hatte er genügend Erfahrungen sammeln können. Schließlich musste er ein ganzes Stück aufwärts kriechen, bis der Spalt breiter wurde und schlussendlich in einem Ausgang mündete. Mikkel reckte den Kopf aus dem Spalt, musste drücken und würgen, bis es einen Ruck gab, der Junge aus dem Spalt rutschte und kopfüber in eine Höhle fiel.

Er gönnte sich nicht erst eine Atempause, sondern rannte durch die Höhle, sah ein zweites Loch in der Wand, das ebenfalls winzig wirkte, und entdeckte schließlich auf einem silbernen Kasten das rostige, auf einer derben Welle gelagerte Rad mit Speichen, die wenigstens fünf Meter lang waren.

Das Rad der Zeit! Und ringsum ein Räderwerk, mit gewaltigen Zahnrädern, die so monströs wirkten, dass sie sich unweigerlich auf den Fortgang der Zeit auswirken mussten!

Mikkel wusste, was geschehen würde, wenn er das Rad zum zweiten Mal bewegte.

In einer Höhle in der Welt des stumpfsinnigen Gemäldes hatte Mikkel einst ein enges Loch gefunden, durch das er sich gequält hatte und in dieser zweiten Höhle gelandet war. Er hatte auch das Rad und die in Felsgestein gemeißelte Bedienungsanleitung gefunden. Jede Bewegung des Rades der Zeit würde den Bediener verändern. Er würde dünner werden, dicker, älter, jünger, größer, kürzer, klüger, dümmer – irgendetwas würde geschehen. Beim ersten Drehen war Mikkel ungefähr zwei Jahre jünger geworden. Zum Glück nicht dicker, sonst hätte er die Höhle niemals wieder verlassen können. Er hatte den zweiten, engen Durchschlupf zum Schulhaus gefunden und hatte damit den Übergang vom Bild zum Schulhaus entdeckt. Den hatte aber nur er durchqueren können, denn alle anderen waren kräftiger gewesen als er.

Um David zum klügsten Schüler der Schule zu machen, damit die Direktorin gerade ihn als Lesepaten auswählen würde, hatte Mikkel ein erstes Mal am Rad der Zeit gedreht und das Tintenchaos in einen Biologie-Kurzkontrolle-Erfolg umgewandelt. Damals hatte Mikkel mit sich gerungen, denn er hatte befürchten müssen, dass ihm Schreckliches geschehen könnte.

Doch nun, in genau diesem Augenblick, da dachte Mikkel nicht nach.

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