Das verlorene Vaterland by Walter Bloem
Autor:Walter Bloem [Bloem, Walter]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: SAGA Egmont
veröffentlicht: 2015-10-09T00:00:00+00:00
* * *
Die heilige Nacht lastete finster, finster auf dem Hause Küss.
Den frommen Brauch des Besuchs beim Christkind in der Wiege wollten Vater und Tochter auch diesmal nicht versäumen. Aber die Stunden bis Mitternacht wollten und wollten nicht vergehen ...
Vergebens hatte Bruder Jean die zwei Einsamen eingeladen, wenigstens die Feiertage im Kreise seiner Familie in Mülhausen zu begehen. Emile Küss wich nicht von seinem Posten. Die Stadt brauchte ihn, die Stadt und seine Klientel. Und schliesslich war Arbeit das einzige Heilmittel wider die nächtigen Gedanken, die den schicksalgeschlagenen Mann bestürmten. Zurückdenken an voriges Fahr â man durste es nicht, wollte man nicht verzweifeln ... und die Zukunft?! Ein ruiniertes Vermögen, eine bis zum völligen Versagen erschöpfte Arbeitskraft ... und ... das Vaterland verloren ...
O ja â die Heimat, die blieb ... das elsässische Volk ... dessen Blutes man war ... in dem man wurzelte mit all seinen Kräften ... das blieb ... aber es war hinfort ein Volk ohne Vaterland ...
Man hatte es nie anders gewusst und gekannt, als dass die engere Heimat, der eigene Volksstamm â Bestandteil war einer grossen Nation, ja der grossen Nation, wie sie mit Stolz sich nannte ... neben der Heimat hatte man ein Vaterland gehabt, an dessen Ruhm und Grösse und Ansehen man Anteil gehabt, dessen welterschütternden, welterneuernden Schicksale und Taten man nachzittern gefühlt im eignen Herzen, rückwirken auf das eigene Wesen und Wollen ... das alles hatte so zu einem gehört wie Haut und Muskeln, Blut und Hirn ...
Und das â das konnte man verlieren? das hatte man vielleicht schon verloren?
Das konnte jemand einem nehmen?
Es war unausdenkbar ... Es war ein Eingriff in die Grundrechte des Menschentums ... Ein Akt mittelalterlicher Barbarei, wie Religions- und Gewissenszwang ... Eine Folterung warâs, eine Räderung, eine Vierteilung bei lebendigem Leibe ...
Es war unmöglich ...
Und würde Wahrheit werden ... war schon so gut wie Wahrheit ...
â Es war ein schwacher Trost, dass man das Kind noch bei sich hatte. Ader es war auch dabei eine Bitterkeit. Auch sie litt, auch sie sehnte sich ... musste sich sehnen ... nach der verlorenen Mutter ... nach dem entflohenen Bruder ... Und doch â das war ja so menschlich! am meisten sehnte sie sich â der Vater begriffâs und verziehâs ihr von Herzen â nach dem fernen Verlobten ... das war ja so selbstverständlich ... Und doch warâs bitter ... Denn dieser Verlobte war, was Emile Küss nun nicht mehr sollte sein dürfen â war ein Franzose ... Wenn es dem Himmel gefiel, ihn hindurchzuführen durch diesen Kriegesgraus â dann würde die da, Cécile Küss, seine Cécile, seiner Liebe Kind â sie würde, nicht ganz leichten Herzens gewiss, aber sie würde schliesslich doch froh und dankbar und wie der Vernichtung entronnen â dem Manne ihrer Wahl folgen und Französin sein mit dem Franzosen, in Frankreich, im Vaterland ... Mochte der alte Papa daheim das tragische Geschick der Vaterlandslosigkeit bis ans Ende seiner Tage weiterschleppen ... Nun â vielleicht ... hoffentlich ... würde es nicht fern sein, das Ende ... Emile
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