Das Tribunal Thriller by John Katzenbach

Das Tribunal  Thriller by John Katzenbach

Autor:John Katzenbach [Katzenbach, John]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783426426951
Herausgeber: Knaur e-books
veröffentlicht: 2015-01-29T05:00:00+00:00


10

Brennholz

Unmittelbar nach dem Abendappell begaben sich Tommy Hart und Lincoln Scott zu Colonel MacNamaras Stube in Baracke 114. Schweigend überquerten die beiden Männer mit zügigen Schritten den Exerzierplatz. Unterwegs begegneten ihnen mehrere kleine Gruppen Lagerinsassen, die verschiedene Lebensmittel wie Rindfleisch- oder Wurstkonserven, Trockenfrüchte und -gemüse sowie das allgegenwärtige Trockenmilchpulver der Marke Klim aus ihren Rotkreuzpaketen zur gemeinsamen Kochstelle brachten, um sich daraus etwas Essbares mit Soße zusammenzubrauen. An diesem Nachmittag hatten die Deutschen darüber hinaus etwas Kriegsbrot und eine bescheidene Menge harte Rüben sowie faulige Kartoffeln beigesteuert.

Für einen findigen Lagerkoch war es eine ehrenvolle Herausforderung, aus den immer gleichen Zutaten eine schier endlose Vielzahl von Gerichten zu kreieren (oft gewagte Kombinationen wie etwa Schweinerouladen mit Himbeermarmelade oder Konservenobst garniert). Wer sich im Stalag Luft 13 als Fünfsternekoch einen Namen gemacht hatte, heftete seine neuen Rezepte ans Anschlagbrett, die dann Nachahmer im ganzen Lager zu etlichen weiteren Varianten inspirierten. Der Mangel spornte die Internierten zu kulinarischen Höhenflügen an. Darüber hinaus lernten sie, sich jeden Bissen langsam auf der Zunge zergehen zu lassen und dabei an schmackhaftere Mahlzeiten in besseren Zeiten zu denken. Im Stalag Luft 13 schlang niemand sein Essen hinunter.

Auf ihrem Weg durch den Mittelgang der Baracke warf Tommy einen verstohlenen Seitenblick auf Scott. Wie immer marschierte sein Schützling, dessen angespannte Miene erahnen ließ, welche Wut er unterdrückte, mit straff gespannten Schultern voran. Wie immer spürte er bei Scott eine Härte und Zähigkeit, von der er nicht wusste, woher sie rührte. Umgekehrt hätte Tommy liebend gern erfahren, was der schwarze Flieger in ihm sah, wenn er ihn eindringlich musterte. Ging man an Scotts Seite, fühlte man sich unwillkürlich kleiner. Es war sehr wohl denkbar, dass diese Ausstrahlung etwas mit all dem zu tun hatte, was er in seinem Leben schon erfahren und wie er es innerlich verarbeitet hatte. Und dass er schon eine Menge hinter sich hatte, daran gab es keinen Zweifel. Auch wenn das Schicksal sie an denselben Ort verschlagen hatte, konnte der Weg, der sie jeweils dahin geführt hatte, wohl unterschiedlicher nicht sein. Vermont und Harvard waren zweifellos ein Sonntagsspaziergang im Vergleich zum langen, beschwerlichen Aufstieg von Lincoln Scott. Besonders verblüffend fand Tommy, dass Scott immer noch nicht wie ein Kriegsgefangener aussah. Vielleicht hatte er einiges an Gewicht verloren – angesichts der dürftigen Ernährung war das unvermeidlich –, doch in seinen wachen dunklen Augen fand sich nicht die Spur dumpfer Resignation oder verängstigter Duldsamkeit, der unübersehbaren Anzeichen innerer Resignation.

Wie steht es mit mir selbst?, fragte sich Tommy. Hatte das Stalag Luft 13 nur an seinen Pfunden oder auch an seinem Kampfgeist gezehrt? Wie viel von seiner Lebenslust, seiner Selbstbehauptung und seiner Bereitschaft, für seine Überzeugungen einzustehen, hatte er eingebüßt? Besaß er noch die Eigenschaften eines jungen Mannes, der sich auf das Leben freut? Zuweilen quälte er sich mit diesen Fragen und der Ungewissheit, ob er die entsprechenden Kräfte mobilisieren konnte, wenn er sie dringend brauchte.

Besonders jetzt, dachte er, da Phillip Pryce nicht mehr da ist und er mich nur noch in der Erinnerung anspornen kann, diese Kräfte freizusetzen. Die Zweifel setzten Tommy zu, doch er biss die Zähne zusammen.



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