Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition) by Gerit Bertram

Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition) by Gerit Bertram

Autor:Gerit Bertram [Bertram, Gerit]
Die sprache: deu
Format: azw3, epub, mobi
veröffentlicht: 2014-04-06T22:00:00+00:00


KAPITEL 29

Nur langsam wich das Gefühl von Anna, der graue Himmel über ihr stehe kurz davor, einzustürzen, um Lenchen und sie unter sich zu begraben. Mittlerweile waren fünf Wochen vergangen, seit sie die Nachricht von Korbinians grausam entstelltem Leichnam erhalten hatte. Allein die Tatsache, dass Sebastian und sie einander wiedergefunden hatten, brachte ein wenig Licht in ihr Leben. Es erschien ihr schlicht wie ein Wunder. Sie hätte so gern mehr über diese Bruderschaft und seine Zeit als Beutelschneider erfahren, wollte jedoch nicht in ihn dringen. Anna dachte sich an die Worte des Beinschnitzers, der Sebastian wegen Diebstahls entlassen hatte. Niemals hätte sie sich vorstellen können, dass der Bruder zu solchen Taten fähig wäre. Sie erinnerte sich, wie energisch sie die Anschuldigung des Mannes von sich gewiesen hatte. Aber auch ihr Leben hatte Wendungen genommen, die sie sich noch vor einem Jahr niemals hätte vorstellen können.

Ihre Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück, zu den schier unlösbaren Problemen. Inzwischen war die Summe von zehn Groschen und zwei Dutzend Pfennigen, die sie in einem hölzernen Kistchen in der Schlafkammer aufbewahrte, bedrohlich geschrumpft. Zu allem Übel hatte Sebastian ihr gestanden, keinen roten Heller zu besitzen.

Anna seufzte, während sie eines Morgens mit Lenchen auf dem Weg zum Großen Markt war, da sie sich dort mit Frau Dürer treffen wollte. »Wir machen einen Einkaufsbummel und danach wärmen wir uns in unserer Stube bei einem großen Becher Würzwein auf«, hatte die Frau des Malers vorgeschlagen. Zuletzt waren sie sich an Allerheiligen begegnet, als Anna die Hauptmesse in St. Lorenz besucht hatte.

Nach dem Kirchgang hatten sie noch beieinandergesessen. Agnes Dürer war das Entsetzen im Gesicht abzulesen, nachdem Anna ihr von Korbinians Tod berichtet hatte. Jedes Wort der Erklärung war Anna unendlich schwer über die Lippen gekommen. Immer wenn sie vom Tod ihres Mannes sprach, erschien es ihr, als wäre es gar nicht ihre Geschichte, nicht ihr Schicksal. Aber kaum betrat sie das stille, dunkle Haus, wurde sie grausam an die Wahrheit erinnert. Die Gerüche der Farben und nach Korbinians Seife hingen noch immer in der Luft, beinahe so, als würde er jeden Augenblick zur Tür hereinkommen. Anna wusste nicht, was sie mehr fürchtete: den Tag, an dem sich diese Gerüche verflüchtigen würden, oder wenn das Haus weiterhin mit seinen typischen Düften seine Anwesenheit bekundete. Einzig Sebastians Anwesenheit ließ das dumpfe Gefühl in ihrem Inneren verblassen.

Die Dürers hatten ihr angeboten, Korbinians Leichnam nach Nürnberg zu überführen und ihn dort ordentlich bestatten zu lassen, auf ihre Kosten natürlich. Auch die Seelenmesse hatten sie bezahlen wollen. Anna hatte höflich, aber bestimmt abgelehnt. Sie wollte keine Almosen.

Vorsichtig setzte sie ihre Schritte. Ihr Bruder hatte noch geschlafen, als sie die Tür hinter sich ins Schloss gezogen hatte. Er verließ das Haus ungern, und wenn doch, dann nur im Schutz der Dunkelheit. Seit dem Zusammenstoß mit Ferdinand und Sepp erschien es ihm sicherer, erst abends hinauszugehen, um nicht von seinen einstigen Glaubensgenossen erkannt zu werden. Ein Frösteln durchfuhr sie. Bitterkalt war es geworden. In der Nacht hatte es wieder geschneit, und der Schnee bedeckte das Pflaster des ausgedehnten Platzes vor der Frauenkirche mit glitzerndem Weiß.



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