Das Kind der Anderen by Roberts Bethan

Das Kind der Anderen by Roberts Bethan

Autor:Roberts, Bethan
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783956141515
Herausgeber: Verlag Antje Kunstmann
veröffentlicht: 2016-09-16T16:00:00+00:00


AN DIESEM ABEND FUHR JOE mit Nula hinunter zum Strand bei Plas Coch.

Sie trug die Jacke, die er für sie gekauft hatte, obwohl sie zu schwer war, obwohl sie nach dem Parfum von jemand anders roch und sie darin schwitzte. Sie vermittelte ihr das Gefühl, in einer Schutzhülle zu stecken, das Gefühl, durch das robuste Leder gegen die Außenwelt abgeschirmt zu sein. Joe parkte das Motorrad neben dem großen Haus mit den Zinnen, das jetzt ein Hotel war, und sie gingen über den Rasen. Joe zeigte ihr den Weg, die Blicke der Gäste ignorierend, die auf stilvollen Sonnenliegen ihre Aperitifs einnahmen. Er führte sie zum Wasser, vorbei an dem merkwürdigsten Baum, den Nula je gesehen hatte. Er war weit ausladend und niedrig, die Zweige berührten fast die Erde, seine gefurchte Rinde und die dunklen wächsernen Blätter deuteten auf eine stabile, vielschichtige Konstruktion, die mehr einem Haus ähnelte als das Haus selbst.

Während sie zum Strand hinunterliefen, ging die Sonne über dem Kanal unter und legte einen rötlichen Schimmer auf das Wasser. Die Berge drüben auf dem Festland waren zu Schatten verflacht. Die Touristenboote waren verschwunden und Joe sagte, das seltsame elektrische Piep-Piep, das sie hörten, sei ein Austernfischer, der im flachen Wasser nach Nahrung suchte. Nula belohnte ihn für diese Insider-Information mit einem beeindruckten Gesichtsausdruck.

Sie wählten den Weg die grasbewachsene, unebene Landzunge entlang. Joe nahm ihre Hand und sie protestierte nicht. Seine Finger waren weicher, als sie sich vorgestellt hatte. Er führte sie zu einem Flecken roter Erde, direkt unten am Kanal, von Bäumen geschützt. Dann drehte er sich um, sah sie an und sie lächelte, in Erwartung eines Kusses. In den vergangenen Wochen hatte es viele herausfordernde Blicke und kokette Wortwechsel gegeben, aber noch keinen Kuss. Statt Nula zu küssen, begann Joe den Songtext von »Personal Jesus« in der nasalen, atemlosen Sprechweise seines Vaters samt Schulterzucken zu rezitieren und zu tanzen, die Ellenbogen auf Ohrhöhe. Sie lachte, wie immer, wenn er diesen Witz machte. Mit einer schnellen Drehung des Kinns verwandelte er sich in seine Mutter mit ihrem unsicher umherschweifenden Blick. Nula lachte wieder. Als Nächster kam ihr Vater dran. Seitdem Ralph an dem Sonntag zum Lunch erschienen war, hatte Joe diese Ansprache perfektioniert. »Der Punkt bei Rothko«, sagte er und unterbrach sich durch ein plötzliches bellendes Husten, was Nula zum Kichern brachte, »ist, dass seine Farben leben. Vollkommen LEBEN.« Ein Kopfschütteln, ein Stirnrunzeln. Er war richtig in Fahrt. »Und der Punkt bei MIR ist, dass meine STERBEN. Sie sterben einfach auf der Leinwand.« Er geriet in Verzückung, zog seine Jacke aus und warf sich damit auf die Erde.

Nach einer Weile setzte sie sich neben ihn und sagte: »Dad ist ein wirklich guter Maler, weißt du.«

»Ich dachte, er STIRBT auf der Leinwand … Das ist der Punkt bei WICHELO –«

»Nein«, unterbrach Nula ihn. »Dad ist tatsächlich gut.«

Joe hustete, dann gelang es ihm, sich zusammenzunehmen. »Und was macht ihn tatsächlich gut?«, fragte er.

»Seine Visionen, glaube ich«, sagte Nula. »Wie er die Welt sieht … Sein meisterhafter Gebrauch der Farbe als Ausdrucksmittel.«

Joe verzog das Gesicht.



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