Das Herz der verlorenen Dinge by Williams Tad

Das Herz der verlorenen Dinge by Williams Tad

Autor:Williams, Tad [Williams, Tad]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: High-Fantasy, Fantasy, Osten-Ard, Das Geheimnis der großen Schwerter, Nornen, Epos, Elben
Herausgeber: Klett-Cotta
veröffentlicht: 2017-02-15T23:00:00+00:00


Vierter Teil

DER SCHICKSALSBERG

Nach stundenlangem Studium alter Zeichnungen und eigenen mühsamen und gelegentlich auch gefährlichen Erkundungen hatte Viyeki eine Möglichkeit gefunden, wie seine Männer bei den Grabungsarbeiten für eine Zufluchtsstätte im Berg die Verbotenen Tiefen umgehen konnten. Doch dieses Problem gelöst zu haben, besserte seine Laune nicht sonderlich: Selbst der beschränkteste Vormann im Orden hätte das über ihnen schwebende Verhängnis erkannt, und dagegen half wahrscheinlich auch eine solche Zuflucht nichts. Und nicht nur Adlige, alle Hikeda’ya in Nakkiga wussten, was auf sie zukam, wenn es auch manche, ob nun wegen ihrer Stellung und Verantwortung oder aus schlichter Sturheit, nicht wahrhaben wollten.

Viyeki benutzte seine Familiensänfte schon lange nicht mehr und hatte deren Material für Reparaturen am Tor und anderen wichtigen Dingen zur Verfügung gestellt. Also ging er jetzt, am Tag der Ratssitzung, die womöglich über das Schicksal seines gesamten Volkes entscheiden würde, zu Fuß zum großen Ratspalast. Sein Opfer war vergleichsweise gering – das machte der Anblick der vielen Hungernden auf den Straßen mehr als deutlich. Etliche Sklaven und Hikeda’ya niederer Kasten schienen nicht einmal mehr die Kraft zu haben, ihre Erledigungen zu Ende zu bringen oder nach Hause zurückzukehren, und saßen einfach nur ermattet da. Viyekis Haushalt verfügte zwar noch über genügend Nahrungsmittel, um über die Runden zu kommen, doch waren die Vorräte nicht groß genug, um sie mit anderen zu teilen, schon gar nicht mit so vielen. Über die Hälfte der Häuser auf der untersten Ebene von Nakkiga waren dunkel und verrammelt. Einige Bewohner waren auf dem Feldzug im Süden gefallen oder an Hunger oder Krankheit gestorben, viele andere lebten zwar noch, lagen aber praktisch bewegungslos da, um ihre letzten Kräfte zu sparen.

Im Viertel der unteren Kasten am Fuß des donnernden Tränenfalls war der schwarze Roggen in einem Lagerhaus von einem Schädling befallen worden, und das verdorbene Getreide hatte viele der ohnehin schon halb verhungerten Bewohner krank gemacht und zu solchen Taten des Wahnsinns getrieben, dass die Zähne der Königin, Utuk’kus persönliche Garde, vom Kriegsrat abkommandiert worden waren, das gesamte Viertel abzuriegeln. Die Elite-Garden der Königin mauerten manche Häuser zu, während die Bewohner noch drinnen waren und wie wild heulten. Auch wenn die Geräusche allmählich erstarben, wagte sich niemand in die Nähe. Viyeki war nach Ausbruch des Wahnsinns einmal durch das Viertel gegangen. Jetzt machte er einen großen Bogen darum.

Doch auch auf der zweiten Ebene, wo Viyekis Haus und die Häuser anderer adliger Familien standen, war die Not inzwischen nur allzu sichtbar. Selbst die privilegierten Kleriker und Zelebranten, die im Palast der Königin Dienst taten, waren mittlerweile so abgemagert, dass sich ihre Gesichtshaut fast schon durchsichtig über die Knochen spannte. Überall lag Angst in der Luft. Akhenabis große Totenbeschwörung und Suno’kus Ausfall waren gescheitert. Die Nordmänner waren nicht geflohen, die Königin schlief immer noch, und der Orden der Opfermutigen war auf ein paar hundert Krieger geschrumpft. Und Stunde um Stunde hallten die Stöße des mächtigen Rammbocks durch die stillen Straßen Nakkigas.

Bis auf den Tränenfall und die Tempelglocken ist die Stadt wirklich vollkommen still, dachte Viyeki. Aber das ist nun mal unsere Art.



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