Corvidæ by Simone Keil

Corvidæ by Simone Keil

Autor:Simone Keil [Keil, Simone]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
Amazon: B008BVN08O
veröffentlicht: 2012-06-13T22:00:00+00:00


Der Boden war noch immer hart gefroren, im Schatten lagen noch Schneereste, doch die Kraft der Sonne war bereits zu spüren. Lizzie stapelte das letzte Holzscheit unter dem Bretterverschlag und drückte ihren Rücken durch, strich mit der Hand über ihren gewölbten Bauch. Dann ging sie um das Haus herum, hielt inne, als sie Stimmen hörte.

„Es ist alles ihre Schuld!“

„Beherrsch dich, Gabin, niemand hat Schuld. Alles und jeder geht den Weg, der ihm bestimmt ist.“

„Du bist ein Narr. Die Hexe hat dich blind gemacht für die Wahrheit. So wie die andere meinen Sohn geblendet hat.“

Gabins Stimme wurde zu einem Flüstern bei den letzten Worten. Lizzie lehnte sich an die Hauswand und schloss die Augen.

„Du weißt nicht, was du redest. Hexe?“ Etienne lachte bitter. „Du nennst sie eine Hexe? Erinnerst du dich nicht?“

„Oh doch, ich erinnere mich. Jeden Tag und jede Nacht laufe ich gegen eine mannshohe Wand aus steinharter Erinnerung, bis mein Schädel zu zerspringen droht. Und deshalb habe ich meinen Sohn vor diesem Schicksal bewahrt. Erfolgreich bewahrt! Bis sie in unser Leben eindrangen und alles zerstörten, was wir in all den Jahren aufgebaut haben.“

„Du glaubst, du beschützt ihn, wenn du die Wahrheit verleugnest? Du bist ein größerer Narr, als ich je sein könnte. Niemand kann seinem Schicksal entfliehen. Niemand kann sich selbst entfliehen.“

Ihre Tochter trat von innen an Lizzies Bauchdecke und sie schnaufte. Sie wusste, dass es ein Mädchen war. Irina.

„Geh jetzt, Gabin.“ Etiennes Stimme war sanft, doch sie hörte wie er sich bemühte sich zu beherrschen. „Geh nach Hause und erinnere dich. Es ist nicht gut, zu vergessen, wer man ist.“

„Dann willst du mir also nicht helfen?“

„Nein, Gabin. Ich verstehe, dass du über Jakurs Verschwinden nicht glücklich bist, aber ich kann und will dir nicht helfen.“

„Sprich diesen Namen nicht aus!“ Gabins Stimme zitterte. „Ich wünschte, du würdest Hand in Hand mit deiner Hure verbrennen!“

Die Holzwand des Hauses erzitterte. Lizzie zuckte zusammen, als sie Etiennes Knurren hörte. Ein Schlag, ein Röcheln und dann Stille. Irina strampelte. Es ist alles gut, sagte Lizzie in Gedanken. Es ist alles gut.

Nein. Sie drückte ihre Stirn an das kalte Holz. Nichts war gut. Hier stimmte nichts. Selbst die Sonne schien nicht so zu scheinen, wie sie es sollte. Und sie vermisste Cat. Warum war sie nur so dumm gewesen? So blind!

Gabins Körper schlug hart neben ihren Füßen auf den Boden. Er röchelte, hielt sich den Hals. Blut tropfte aus einer Stirnwunde auf sein Leinenhemd. Er rappelte sich auf und stolperte in Richtung Dorfplatz davon.

Sie wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und ging zu Etienne, der wieder auf der Bank vor dem Eingang saß; in der Hand die erloschene Pfeife.

„Ich habe Angst“, sagte sie und verschränkte die Finger vor dem Bauch.

Etienne legte seine Hand auf ihre; an seinen Knöcheln trocknete Gabins Blut. „Es wird alles gut“, sagte er. „Irina wird bald geboren werden und dann wird alles gut.“

Die Sonne schien warm auf Lizzies Gesicht. Sie schloss geblendet die Augen. Irina drängte sich ihren Händen entgegen. „Ja, bald ist es soweit“, sagte sie. „Bald wird alles gut.



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