Coolness, Scham und Wut bei Jugendlichen by Philip Streit

Coolness, Scham und Wut bei Jugendlichen by Philip Streit

Autor:Philip Streit
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783662566817
Herausgeber: Springer Berlin Heidelberg


4.6 Systemische und hypnosystemische Ansätze, Mentalizing

Julia sitzt wie ein Häufchen Elend da, nachdem es wieder einen Riesenzirkus gegeben hat. Jetzt fragt der Therapeut die Mutter: „Was glauben Sie, was denkt sich jetzt Julia über Sie?“, Und Julia: „Was glaubst du, fühlt deine Mutter gerade jetzt? Was will sie gemeinsam mit deinem Vater dir Gutes tun?“ Systemische Ansätze zeichnen sich dadurch aus, dass sie vernetzen, dass sie die Gesetzmäßigkeiten von Mustern des Gelingens und Problemmustern erforschen, erkennen und Techniken zur Verfügung stellen, wie man diese durchbrechen, ändern und nutzen kann. Systemische Ansätze weisen vor allem darauf hin, dass das ganze Leben keine Einbahnstraße ist, sondern ein Auf und Ab, ein Vor und Zurück, allerdings mit klarem Bestimmungsort hin zu einer guten Zukunft.

Deswegen wirken systemische Ansätze so gut, um die konstruktive Kraft der Scham nutzbar zu machen. Sie zeigen auf, welche Auswirkungen das eine auf das andere haben kann und das andere auf das eine. Oder anders ausgedrückt: welche Auswirkungen das Nicht-Erkennen und Verstecken von Scham auf Eskalationen haben kann. Systemisches stellt Verbindungen her und macht dadurch den Prozess erlebbarer und reichhaltiger.

In besonderem Maße ist Systemisches für die Nutzbarmachung von Scham hilfreich. Denn Systemisches fokussiert auf die Nutzbarmachung des Problems. Das wird vor allem im Hypnosystemischen Ansatz von Gunther Schmidt (2017, 2018) betont. Dieser bringt damit Scham konstruktiv auf die Bühne. Scham wird so zur Kompetenz für ein gelingendes Miteinander – das Dornröschendasein des missachteten und beschämten Jugendlichen hört auf. Gunther Schmidt führt dazu auch gern in sogenannte hypnosystemische Trancen hinein, etwa so: „Stellen Sie sich vor, was Sie wütend macht. Was steht hinter Ihrer Wut? Was ist das für ein Gefühl? Wie können Sie dieses Gefühl nutzen?“ Wenn die Scham als Gefühl entdeckbar wird, kann man mit der Scham als unbewusster kompetenter Kraft weiterarbeiten. „Welches Bedürfnis steckt hinter Ihrer Scham? Wie sieht das ganz genau für Sie aus? Wie wäre das, wenn Sie es erfühlt haben? Achten Sie auf Zeichen!“ Wir werden dies in Kap. 5 noch genauer besprechen.

Ein weiterer systemischer Ansatz, dem in Kap. 5 mehr Raum gegeben wird, ist das von Uri Weinblatt (2016) entwickelte Systemische Spiegeln, auf Englisch „Systemic Mirroring“. Bei dieser Technik schlüpft der Therapeut immer wechselseitig in die Rolle der Klienten und versucht, deren Äußerungen möglicherweise schamdeeskalierend umzudeuten, etwa so:

Martin zu Vater: „Du hast mir gar nichts zu sagen. Ich lerne nichts mehr!“ Der Therapeut schlüpft in die Rolle von Martin und sagt zum Vater: „Ihr Sohn möchte Ihnen hiermit ausdrücken, dass er Sie für wichtig hält, aber in Bezug auf das, was er lernt, auch seine eigenen Vorstellungen respektiert haben will. Ist es etwa das, was du, Martin, meinst?“ Der Vater daraufhin: „Das interessiert mich aber nicht.“ Jetzt schlüpft der Therapeut in die Schuhe des Vaters: „Martin, ich als Papa mag dich sehr gern, nur unsere ständigen Auseinandersetzungen möchte ich nicht mehr haben. Viel lieber würde ich mit dir darüber reden, wie es uns gelingen kann, dass du in der Schule gute Fortschritte machen kannst.“ Allen Erfahrungen nach reduziert dieses Umgehen hocheskalierte Scham und bringt Humor und Neugierde hervor, um Scham konstruktiv für gelingendes Zusammensein nutzbar zu machen.



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