Cohen, Julie by Mit den Augen meiner Schwester

Cohen, Julie by Mit den Augen meiner Schwester

Autor:Mit den Augen meiner Schwester
Die sprache: de
Format: mobi
veröffentlicht: 2012-06-13T18:02:01+00:00


Zeig es ihnen allen

Ich blickte auf das Handy, dann schleuderte ich es wütend in den nächstbesten Strauch.

»Na schön«, sagte ich. »Pass mal gut auf! Ich werde es wirklich besser hinkriegen.«

Wütend stapfte ich zu Lees Gartentor. Zum Glück war die Church Street menschenleer, also hatte niemand meinen Streit am Telefon mitgehört, obwohl es mich nicht überrascht hätte, wenn allerorten die Vorhänge gezuckt hätten.

Wie konnte sie es wagen, mich so anzuschnauzen? Sie war doch diejenige, die vor ihrer eigenen Party verschwunden war, die ihre eigene verwirrte Mutter sich selbst überlassen hatte, ohne ihr vorher ein Wort zu sagen. Und von mir wurde jetzt erwartet, die Scherben aufzulesen – und dann auch noch zu ihren Bedingungen, nicht zu meinen.

»Vergiss es«, sagte ich laut. Ich würde nicht alles wie Lee machen; ich würde es auf meine Weise machen, und ich würde es besser machen, und ich würde sowohl Lee als auch meiner Mutter beweisen, dass sie sich täuschten. Dazu musste ich mich allerdings weiterhin als Lee ausgeben – sonst würde mich niemand bei Ice Cream Heaven ernst nehmen.

Wenn Lee dann zurückkäme, würde ich mich als die böse Zwillingsschwester zu erkennen geben und zusehen, wie die Kinnladen der Leute vor Staunen auf dem Boden aufschlugen.

Auf Lees Türschwelle lag ein dicker Strauß Blumen: gelbe und rosa Rosen, eingewickelt in Seidenpapier. Ich hob sie auf und las die Karte. Gute Besserung, und übrigens, geh an dein verdammtes Telefon. Will.

Na also. Das klang doch schon eher nach einem richtigen Kerl. Man durfte die Mädels nicht an der langen Leine lassen. Es sah aus, als fühlte sich Will Naughton auch von meiner Art des Umgangs angesprochen. Kurz schoss mir der Gedanke durch den Kopf, es würde Lee recht geschehen, wenn ich ihr den Freund ausspannte, aber das verwarf ich sofort wieder. Egoistisch hatte sie mich genannt. Rücksichtslos. Die Genugtuung, recht zu behalten, würde ich ihr nicht verschaffen.

Schön, von mir aus. Eine Eisfirma zu führen musste ich möglicherweise noch lernen, aber womit ich mich auskannte, waren leistungsstarke Autos, hochexplosive Sprengstoffe – und Männer. Ich würde mir Will zur Brust nehmen, sodass Lee bei ihrer Rückkehr den aufmerksamsten, beflissensten Ultra-Luxusfreund der Welt vorfände. Und das alles hätte sie mir zu verdanken. Benahm sich so ein rücksichtsloser Mensch?

Ich würde es ihnen allen zeigen.

Natürlich kroch ich zehn Minuten später auf allen vieren durchs Gestrüpp und suchte mein Handy.

Am nächsten Morgen war ich bei Sonnenaufgang auf den Beinen und joggte in einer ausgedehnten Runde zu Ice Cream Heaven, über Feldwege und kleine Landstraßen. Der Himmel war ausnahmsweise mal blau, und eine Brise hüpfte über die Hecken. Pusteblumenschirmchen und Insekten tanzten durch die Luft, Vögel zwitscherten, Schafe blökten. Tau hing auf Grashalmen und Spinnennetzen. Es war, als liefe man durch eine Postkarte. Ich begegnete keiner Menschenseele, obwohl ich in eine Richtung den Steinkreis oben auf dem Hügel ausmachte und in die andere Richtung durch die Bäume einen Blick auf die uralten Schornsteine von Naughton Hall hatte.

Das Joggen blies mir den Kopf frei, die frische Luft die Lungen. Mit jedem Schritt schüttelte ich etwas mehr von meiner Steifheit ab.



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