Blasenwurst und Tote Oma by Ruth Borcherding-Witzke & Silvija Hinzmann

Blasenwurst und Tote Oma by Ruth Borcherding-Witzke & Silvija Hinzmann

Autor:Ruth Borcherding-Witzke & Silvija Hinzmann
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-89812-603-8
veröffentlicht: 2011-05-18T04:00:00+00:00


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Es handelte sich um die Leiche eines sächsischen Mädchens, wie man alsbald herausfand, einer jungen Frau vielmehr, denn sie hatte bereits Kinder geboren und eine Familie gegründet, so daß man anfangs nicht so recht wußte, wie es sie von einem Katastrophengebiet – dem Südleipziger Revier – ins andere verschlagen haben könnte.

Es war ein Sonnabendmorgen, an dem ein paar unerschütterliche Jogger und Hundeführer sie fanden: sie lag, die Beine halb ins Wasser gestreckt, verdreht zwischen dem Rohr, in dem die Hänflinge und Sänger einen Lärm veranstalteten, als seien sie es gewesen, die sie entdeckt hätten, nicht der strebsame Setterrüde eines Lehrerpaars, der sich aus Jagdlust zwischen den Halmen der Schilfkolben verlor.

Ihren Wagen hatte man schnell oberhalb des Zugangs zum See, am Stadion, ausgemacht; auf einer der Seitentrassen, die früher in den Tagebau, das gesperrte Gebiet der Restlöcher und Halden, führten: ein kleiner blaßgrüner Zweitürer mit abgefahrenen Reifen, falb und leicht in die Böschung geneigt, ohne besonderes Merkmal.

Für die Zuordnung des Wagens hatte es nur ein paar Stunden und der Aufmerksamkeit einiger Freizeitdetektive bedurft – im Handschuhfach fand man den Führerschein des Mädchens, im übrigen Innern des Fahrzeugs Papiere, Kondome und Geld; fünf Bernsteine, zwei Bücher; ein Stück Mooreichenholz, halb zerbröckelt.

Die Tage verstrichen in einer Art, daß sie den Launen des überarbeiteten Hauptkommissars hätten entsprungen sein können. Der Abraum der Zweifel lastete fahl in der Luft, und in den Köpfen derer, die das Gesehene und Gehörte in reißerische Gerüchte zu verwandeln hatten, schwollen die Phantasieleistungen auf ein Maximum an, so daß die Kunde vom Tode der Frau bis in die benachbarten Großstädte drang. Skateboarder und Mountainbiker, die den See seit Jahr und Tag auf die jeweils schnellste Weise zu umrunden suchten, hielten an der von der Polizei durchkämmten Unglückstätte ein ums andere Mal an und ergingen sich in den dunklen Visionen, wie es soweit hatte kommen können. Der Tod in der Stadt – das war, nach Leid und immer wieder befeuerter Hoffnung, eine neue Erfahrung und ein Grund, die Familie des Opfers zu bedauern, auch wenn sie eine aushäusige war. Pläne einer Lynchjustiz schwelten; wenn es den zuständigen »Organen« nicht bald gelingen möge, für Ordnung zu sorgen, so war man sich einig, würde man das selbst in die Hand nehmen müssen. Die Wut und der Ärger verebbten erst, wenn an den Abenden das Flackern der Fernseher in den Häusern begann – niemand bemerkte, wie sich mit Einbruch der Dunkelheit aus dem angrenzenden Wald, der auf der Sandhalde des ehemaligen Tagebaus entstanden war, eine behende Gestalt der blauen Bank näherte und auf ihr in der Dämmerung saß.

Und währenddessen hockten die Alten in ihren Aufenthaltsräumen in den Pensionen der Stadt verteilt, löffelten Papps und gedachten ihrer guten alten, sächsischen oder anhaltinischen – sie wußten es nicht mehr genau – Küche im Mondschein. Denn der Mond hatte sich mittlerweile zu voller Größe bequemt, seit zwei Nächten hing er wie ein strahlendes Flutlicht über dem schweigenden Lau des Bernsteinmeers und leuchtete die Stelle im Schilf, von der man bald ahnte, daß sie ein Tatort sein müsse, ungerührt aus.



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