Auch die Liebe hat drei Seiten by Susann Rehlein

Auch die Liebe hat drei Seiten by Susann Rehlein

Autor:Susann Rehlein [Rehlein, Susann]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
veröffentlicht: 2015-10-25T16:00:00+00:00


Allein unter Fremden

Um 1 Uhr 34, mitten in der Nacht also, klingelte jemand Sturm. Lisbeth schaute aus dem Hallenbadfenster. Paul, Maria und Stefan, die Tödliche Dagmar, der Alte mit dem Pelzstirnband, eine Fremde, Huhni – alle bepackt mit Bündeln und Koffern, als wären sie im Begriff, in die Neue Welt aufzubrechen und wollten sich nur noch rasch von Lisbeth verabschieden. Etwas Schreckliches musste passiert sein! Auf alles gefasst, machte sie auf, lüftete rasch im Schlafzimmer und guckte nach, ob der Klodeckel unten war. Ächzend kam die Karawane hochgestapft, sie redeten so laut, dass Lisbeth Sorge hatte, sie müsse sich vielleicht morgen früh bei den Nachbarn entschuldigen.

»Steh da nicht wie angewurzelt, lass uns rein, ich muss aufs Klo«, krächzte Paul, der unter seiner alten Adidas-Jacke einen blau-weiß gestreiften Seidenpyjama trug, wie Lisbeth erstaunt feststellte. Paul schob sie zur Seite, und die Gruppe, allen voran die Tödliche Dagmar, die sofort einen Erkundungsgang unternahm, drängte in die Wohnung.

»Was ist denn los?« Aber keiner antwortete. Die gingen an Lisbeth vorbei, als wäre sie unsichtbar. Im Grunde konnte Lisbeth froh sein, dass die nicht durch sie hindurchgingen.

»Mieses Karma, das ist ganz mieses Karma hier.« Als Lisbeth ins Hallenbad kam, um zu erfahren, was passiert war, stand Huhni in orangefarbenen Pluderhosen in der Mitte des Raumes, zündete 2 Räucherstäbchen an, die sogleich übel zu stinken anfingen, wedelte damit durch die Luft und sagte: »Ich verstehe total, dass du in diesem Raum nicht wohnen willst. Hier hat sich bestimmt mal einer aufgehängt. Der hängt hier gewissermaßen immer noch.« Er schüttelte seine grauen Dreadlocks und machte einen Schritt auf Lisbeth zu – offensichtlich, um sie in den Arm zu nehmen –, aber Lisbeth machte lieber einen Schritt zurück und stieß gegen Paul, der mit hängenden Schultern und grauem Gesicht einfach bloß dastand. »Hinsetzen«, befahl der Alte mit dem Pelzstirnband. Eine Frau, die Lisbeth nicht kannte – eine mit schwarz gefärbten kurzen Haaren, sehr kurzem, geradem Pony und bleicher Haut, die viel Kajal um die Augen hatte –, fuhr den mit dem Pelzstirnband an: »Jetzt halt mal endlich die Luft an!« Dann stellte sie einen roten Lederkoffer vor sich ab, packte ihn aus – ein Notebook, eine Stange Zigaretten, eine Flasche Whiskey, ein Buch –, legte sich auf den Rücken und las, während sie immer wieder mal einen Schluck aus der Flasche nahm. Die anderen sahen sich in der Wohnung um, und Huhni verteilte in aller Seelenruhe eine Großpackung Teelichter in den Räumen. Dann setzten sich alle in der Mitte des Hallenbads im Kreis auf den Boden. Stefan und Maria kamen mit einer Flasche Rotwein, einer Flasche Wasser und Gläsern aus der Küche, Maria goss ein.

»Was ist denn passiert?«, fragte Lisbeth.

»Gleich«, sagte Paul.

Lisbeth hielt die Spannung nicht mehr aus, sie sprang auf, ging ins Bad und blies das im Fenster stehende Teelicht aus. Blies zur Sicherheit auch das Teelicht in der Küche aus und ging zurück ins Hallenbad, wo die anderen im Kreis hockten und schwiegen. Huhni stand mit geschlossenen Augen in der Mitte und wedelte immer noch mit den stinkenden Räucherstäbchen.



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