Als gestern noch morgen war: Roman (German Edition) by Claire Dyer

Als gestern noch morgen war: Roman (German Edition) by Claire Dyer

Autor:Claire Dyer [Dyer, Claire]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783426425718
Herausgeber: Droemer eBook
veröffentlicht: 2015-01-20T16:00:00+00:00


10

Als Hywel Morgan zu seinem Sohn aufblickt, ist Elliott überrascht, wie vertraut dieser Mann ihm ist. In der Zeit zwischen den Besuchen scheint Elliott sich, absichtlich oder nicht, von seinem Vater zu distanzieren, von dem Mann, der er war, wie auch von dem, der er jetzt ist. Deshalb ist es für ihn ein Schock, dessen Gesicht vor sich zu sehen. Zum einen, weil sein Vater ihm so unverändert vorkommt, zum anderen, weil er so sehr wie eine ältere Version von Elliott aussieht, dass ein Blick in sein Gesicht wie ein Blick in eine Art zeitlichen Zerrspiegel erscheint. Die beiden Männer haben dieselben graugrünen Augen, dieselben von der Schläfe zur Wange verlaufenden Falten, auch wenn die des alten Mannes tiefer und die Stoppeln seines Bartes weiß sind.

Sein Dad scheint irritiert zu sein von dem Mann, der sich einen Stuhl ranzieht, um sich neben ihn zu setzen. Elliott kann die Gedanken buchstäblich über das Gesicht seines Vaters wandern sehen.

»Dad?«, sagt er, die Stimme krächzend vom wenigen Gebrauch. Die Minuten, die seit seiner Unterhaltung mit der Heimleiterin verstrichen sind, kommen ihm wie Stunden vor. »Ich bin’s – Elliott. Du brauchst mal wieder eine Rasur«, fügt er hinzu, bedauert es aber sofort. Es klang wie eine Kritik, eine Erinnerung mehr, dass sein Vater diese Dinge nicht mehr selbst machen kann.

Elliott hatte sich so sehr gewünscht, es möge nicht so sein.

Der alte Mann scharrt in seinem Sessel, starrt verloren auf seine Pantoffeln und dann mit demselben Ausdruck auf Elliott. »Ich hatte einen Sohn, der so hieß«, sagt er.

Aus den ganzen Recherchen, die Elliott angestellt, und allen Gesprächen, die er mit den Ärzten und Pflegern seines Vaters geführt hat, weiß er, dass er vor allem immer daran denken muss, nicht zu widersprechen, den ohnehin blockierten Gedanken nicht noch weitere Hindernisse in den Weg zu legen. Es ist besser, aufmunternd zu sein, die Erinnerungen fließen zu lassen, so falsch und schräg sie auch sein mögen. Deshalb muss Elliott sagen: »Ach, tatsächlich? Das ist ja nett.«

»Er war ein guter Junge«, sagt sein Dad. »Hat immer viel gelesen, wenn ich mich recht entsinne.«

Es folgt eine Pause, und durchs Fenster kann Elliott eine ältere Dame neben einer Pflegerin langsam über den Rasen gehen sehen. Die alte Dame, die unter einem beigefarbenen Regenmantel ein mit Blumen gemustertes Kleid anhat, ganz wie die, die seine Mutter immer trug, hat sich bei der Pflegerin untergehakt. Mit winzigen Schritten gehen sie über das Gras. Diese Partnerschaft hat etwas Leichtes an sich, eine Aura der Akzeptanz und einen Hauch von Freude.

»Hast du Lust auf einen Spaziergang, Dad?«, fragt Elliott. »Es ist ein schöner Tag heute.«

»Nein danke. Vielen Dank, aber ich glaube, es ist bald Teestunde«, antwortet sein Vater und schielt auf die Uhr an der Wand.

Elliott hat keine Ahnung, ob er die Zahlen sehen kann oder weiß, um wie viel Uhr der Tee serviert wird, oder ob er sich das nur ausdenkt. Sein Vater war, scheinbar ohne es zu wissen, ein sehr guter Schauspieler geworden, vor allem gegen Ende, als er versuchte, weiterhin allein in seinem Haus zu leben.



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