Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur by Wulf Andrea

Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur by Wulf Andrea

Autor:Wulf, Andrea [Wulf, Andrea]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: C. Bertelsmann
veröffentlicht: 2016-09-16T05:37:55+00:00


Die Universität in Berlin, die Wilhelm von Humboldt 1810 gegründet hatte und in der Alexander Vorlesungen besuchte.

Wellcome Library, London

Vielen Menschen blieb Humboldt ein Rätsel. Einerseits konnte er arrogant sein, andererseits räumte er bescheiden ein, dass er noch weit mehr lernen müsse. Die Studenten der Universität Berlin staunten nicht schlecht, als sie den alten Mann in den Hörsaal schlurfen sahen, seinen Ordner unter dem Arm – nicht um eine Vorlesung zu halten, sondern um sich die eines jungen Professors anzuhören.30 Humboldt besuchte zum Beispiel Vorlesungen über griechische Literatur, weil er aufholen wollte, was bei seiner Erziehung versäumt worden war, wie er sagte. Während er Kosmos schrieb, informierte er sich über die neuesten wissenschaftlichen Entwicklungen, indem er den Experimenten eines Chemieprofessors zusah und die Vorträge des Geologen Carl Ritter besuchte. Stets setzte er sich in die vierte oder fünfte Reihe des Hörsaals ans Fenster und machte sich in aller Ruhe Notizen wie die jungen Studenten neben ihm. Egal, wie schlecht das Wetter war, der alte Mann versäumte keine Lehrveranstaltung. Nur wenn der König Humboldts Anwesenheit verlangte, fehlte er, und die Studenten scherzten: »Alexander schwänzt heute das Kolleg, weil er beim König zum Tee ist.«31

Seine Einstellung zu Berlin aber hat Humboldt nie geändert; er blieb dabei, dass es »eine kleine, unlitterarische und dazu überhämische Stadt« sei32. Ein großer Trost in seinem Leben war Wilhelm. In den letzten Jahren war das Verhältnis zwischen den Brüdern so eng geworden, dass sie so viel Zeit wie möglich miteinander verbrachten. Nach Carolines Tod im Frühjahr 1829 verließ Wilhelm Tegel nicht mehr, aber Alexander besuchte ihn, so oft er konnte. Wilhelm war nur zwei Jahre vor seinem Bruder geboren, alterte aber rasch. Er wirkte älter als siebenundsechzig und wurde schnell schwächer.33 Auf einem Auge war er blind, seine Hände zitterten so stark, dass er nicht mehr schreiben konnte, und sein entsetzlich dünner Körper war tief gebeugt. Ende März 1835 bekam Wilhelm Fieber, nachdem er Carolines Grab im Tegeler Park besucht hatte. Die nächsten Tage verbrachte Alexander am Bett seines Bruders. Sie sprachen über den Tod und über Wilhelms Wunsch, neben Caroline begraben zu werden. Am 3. April las Alexander dem Bruder noch ein Gedicht von Friedrich Schiller vor. Als Wilhelm am 8. April starb, war Alexander an seiner Seite.

Ohne seinen Bruder fühlte Humboldt sich allein und verlassen. »Ich glaubte nicht, daß meine alten Augen so viel Thränen hätten«34, schrieb er an einen langjährigen Freund. Mit Wilhelms Tod hatte er seine Familie und, wie er sagte, »die Hälfte meines Lebens«35 verloren. Eine Zeile in einem Brief an seinen französischen Verleger fasst seine Gefühle zusammen: »Beklagen Sie mich; ich bin der unglücklichste der Menschen.«36

Humboldt fühlte sich elend in Berlin. »Alles ist öde um mich her, so öde«37, schrieb er ein Jahr nach Wilhelms Tod. Glücklicherweise hatte er mit dem König ausgehandelt, dass er jedes Jahr für ein paar Monate nach Paris reisen durfte, um für Kosmos die neuesten Forschungsergebnisse zu recherchieren.38 Er bekannte, dass der Gedanke an Paris das Einzige sei, was ihn aufheiterte.

In Paris fiel er wieder mühelos in den Rhythmus von intensiver Arbeit und Abendunterhaltungen.



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