Ada sucht Eva by Mirjam Müntefering

Ada sucht Eva by Mirjam Müntefering

Autor:Mirjam Müntefering [Müntefering, Mirjam]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Bastei Entertainment
veröffentlicht: 2015-08-12T16:00:00+00:00


Ich bog auf die Autobahnabfahrt und bemerkte plötzlich die blauen Flammen. Fast hatte ich sie übersehen, weil sie nur sanft züngelten.

Sie bäumten sich nicht auf, wie es gelbe Flammen täten, die wild nach Nahrung leckten. Denn so waren sie nicht. Es waren blaue Flammen. Ich kannte sie noch aus dem Chemieunterricht. Als wir auf kleinen Gasbrennern Stoffe in rußgeschwärzten Reagenzgläsern erhitzen mussten.

Die blauen Flammen waren heiß. Sie schlugen nicht hoch. Deshalb hatte ich sie fast nicht bemerkt. Sie krochen über den Boden dahin und schwelten in jedem Winkel. Sie waren ein blauer Nebel, der sich langsam ausbreitete. Sie hatten Zeit.

Karolin hatte den Kopf an die Nackenstütze gelehnt und die Augen geschlossen. Zweimal hatte sie gegähnt.

Ihre Lider zeigten ihre Verletzbarkeit, zart apricotfarben. Ihre Hände, die in ihrem Schoß lagen, zeigten ihre Stärke.

Und so, wie sie dasaß, ein wenig verletzlich, ein wenig stark, hatte sie mir mit einem Schlag bewusst gemacht, dass die blauen Rammen da waren. Unter diesen Umständen die vertrauten Straßen zu fahren war das Aufregendste, an das ich mich erinnern konnte. Jede Ampel, jede Straßenecke gewann eine neue Dimension.

Ich wusste, dass ich am Anfang von etwas stand. Das schärfte meine Sinne. Ich wollte nichts versäumen. Ich wollte alles wahrnehmen: jede Bewegung, die Karolin auf dem durchgescheuerten Sitz machte. Ich wünschte mir jede Sekunde doppelt so lang.

Das Schweigen im Wagen war angenehm. Eine Kassette mit diesem Schweigen, ja, das wäre etwas: konservierte, friedvolle Stille. Ich beschloss, diesen Satz unbedingt aufzuschreiben.

Als wir vor dem Haus hielten, öffnete Karolin die Augen.

»Was hast du neulich damit gemeint? Dass alles in dir blau ist?«, fragte sie.

Ich würgte erschrocken den Motor ab. Ihre Stimme klang hart und ärgerlich. Vorbei die friedvolle Stille.

Mit dieser Frage hatte ich nicht mehr gerechnet. Sie war so entsetzlich intim.

Es war einfach gewesen, einer Fremden meinen Satz zu sagen und mich dann umzudrehen und zu gehen. Aber jetzt vor Karolin, die mir mit jeder Sekunde vertrauter wurde, eine Erklärung abzuliefern, das war unmöglich.

»Sieh mal«, sagte ich. »Auf dem Bürgersteig liegen Kastanienblätter, obwohl es in dieser Straße gar keine Kastanien gibt.«

Karolin schwieg.

»Tja, weißt du … es ist ein Gefühl, das ich mit dir verbinde. Das Gefühl … ist blau.« Und ich hörte mich so an, als sei ich es ebenfalls. Karolin sah mich einfach nur an, und ich kam mir idiotisch vor. Nichts konnte schlimmer sein als ihr klarer Blick unter stummen, geraden Augenbrauen. Dann stieg Karolin einfach aus.

Im Treppenhaus ließ ich ihr den Vortritt. Ich betrachtete sie und erkannte, dass ihre Sprache verändert war: Ihre Schultern waren zu einem Panzer gestrafft, und ihre Hände starrten neben ihrer Hüfte in die Luft. Ihr ganzer Körper versuchte mir zu sagen, dass sie unkompliziert sei, dass es ihr gutgehe, dass sie sich wohl und sicher fühle. Das alles zusammen war Grund zur Beunruhigung.

Ich wollte mich ohrfeigen, weil ich diese Veränderung nicht gleich bemerkt hatte. Ein Wort, eine Geste musste es gewesen sein. Etwas hatte sie erschreckt.

Vielleicht war Karolin eine von denen, die immer Angst davor hatten, verletzt zu werden. Ganz sicher war sie aber



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