Abingdon Hall Der letzte Sommer by Rock Phillip

Abingdon Hall Der letzte Sommer by Rock Phillip

Autor:Rock, Phillip
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Blanvalet Verlag
veröffentlicht: 2014-08-25T16:00:00+00:00


12

Als Martin Rilke in Southampton in den Zug nach London stieg, saßen im Abteil der ersten Klasse schon sechs Offiziere, die nach Monaten in Frankreich erstmals wieder in der Heimat waren. Sie begegneten ihm mit eisiger Verachtung, als sie bemerkten, wie jung er war, dass er vor Gesundheit strotzte und zivile Kleidung trug.

»Na, hatten Sie einen schönen Urlaub?«, erkundigte sich ein Major der Durham Light Infantrie spitz.

»Nein«, antwortete Martin, während er seine prall gefüllte Aktentasche in das Netz über der Sitzbank wuchtete. »Ich war in Gallipoli.«

Sofort schmolz das Eis, Zigaretten wurden ausgetauscht, und während der Zug durch die sommerliche Landschaft von Südengland rumpelte, unterhielten sie sich über grässliche Massaker. Martin berichtete den Offizieren von den katastrophalen Landungen am Kap Helles und der Anzac-Bucht, und sie erzählten ihm von den furchtbaren Dingen, die bei Neuve-Chapelle und in den Hügeln bei Aubers geschehen waren.

Obwohl London in der Julihitze schmachtete, empfand Martin die Luft nach seiner Zeit auf Limnos und der Halbinsel als beinahe kühl. Doch als er vor dem Bahnhof Waterloo ein paar Minuten auf ein freies Taxi warten musste, war er wie bereits im Zug als gesunder Zivilist im besten Alter abermals den feindseligen Blicken anderer ausgesetzt, und eine junge Frau in einem blassgrünen Kleid drückte ihm sogar verächtlich eine weiße Feder in die Hand.

Es war seltsam. Alles war noch genauso wie vorher. Die Nachrichtenbehälter glitten surrend über die gespannten Drähte zu den Schreibtischen erschöpfter Redakteure und Korrektoren, die Fernschreiber ratterten, die Botenjungen rannten zwischen den zahlreichen Schreibtischen hin und her, und in der Ferne rumpelten die Druckerpressen wie die Motoren eines großen Schiffs. Es war ein Jahr her, seit er an einem Tisch in einer Glaskabine oberflächliche Artikel über die seltsamen Sitten und Gebräuche seines Gastlandes geschrieben hatte, und er fragte sich, ob der Theaterrezensent noch immer jeden Abend im schwarzen Frack und mit weißer Fliege im Büro erschien. Nein, es hatte sich tatsächlich kaum etwas verändert. Außer dass er ein paar Leute noch nicht kannte und ein fremder Mann an Jacobs altem Schreibtisch saß.

In Lord Crewes Büro hingen noch immer große Karten an den Wänden, eine von der Westfront neben einem echten Turner und eine vom Mittelmeer neben einem echten Constable. Und auch Lord Crewe selbst war korpulent wie eh und je, auch wenn die Sonnenbräune aus seinem Gesicht gewichen war. Im kriegführenden England war an Segeln nicht zu denken.

»Nun, Rilke, ich freue mich, dass Sie zurück sind.«

»Ich mich auch, Sir.« Martin nahm auf dem antiken Stuhl vor dem breiten Eichentisch Platz, der dem Pressezaren als Schreibtisch diente, und legte seine Aktentasche darauf ab. »Ich habe jede Menge für Sie zu lesen, Sir. Denn ich habe Tagebuch geführt und alles notiert, was von den Zensoren in Mudros nie genehmigt worden wäre.«

Der Verleger lehnte sich auf seinem Biedermeierstuhl zurück und faltete seine schweren Hände vor dem Bauch.

»Ich lese nicht gern private Tagebücher, Rilke. Ich möchte Ihre abgedruckten Texte in der Zeitung lesen – wie Millionen anderer Leser auch. Lassen Sie mich Ihnen etwas sagen, was Sie vielleicht noch nicht wissen.



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