Abgründe der Macht by Heiger Ostertag

Abgründe der Macht by Heiger Ostertag

Autor:Heiger Ostertag [Ostertag, Heiger]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Gmeiner-Verlag
veröffentlicht: 2015-03-30T16:00:00+00:00


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Eines Abends jedoch gegen zehn, berichtete Karl von Sandersleben, Bismarck hatte seine Wohnung jetzt in der Hochstraße 45, kam dieser unerwartet ins Hotel und suchte mich in meinem Zimmer auf.

»’n Abend, Sandersleben, entschuldigen Sie die späte Störung, aber ich muss dringend mit Ihnen sprechen.«

»Ich saß noch in meinem Arbeitszimmer«, erwiderte ich, »was ist es denn, das Sie um diese Zeit zu mir treibt?«

Bismarck blickte sich wie prüfend um, dann schüttelte er den Kopf. »Ich will nicht hier darüber sprechen. In einem Hotel haben die Wände Ohren. Der Abend ist warm, lassen Sie uns ein wenig am Mainufer spazieren gehen.«

Einige Zeit später standen wir am Main und blickten auf das träge fließende Wasser.

»Sie, Herr von Sandersleben, sind, soviel ich weiß, in verschiedenen, nicht offiziellen Missionen unterwegs«, begann er unvermittelt zu sprechen. »Welcher Art diese sind und was Sie genau machen, das vermag mit Bestimmtheit niemand zu sagen«, fügte er mit einem schlauen Lächeln hinzu. Ich erwiderte nichts, denn ich hatte den Eindruck, dass der Legationsrat mich auszuforschen versuchte; zumindest verfügte er über gewisse Informationen hinsichtlich meines Aufgabenfeldes, sonst hätte er sich niemals zu einer solchen Bemerkung hinreißen lassen. So wartete ich ab, dass Bismarck das diplomatische Geplänkel beenden und zu seinem eigentlichen Anliegen kommen werde. Dieser sprach noch ein wenig hin und her über das hiesige Doppelspiel der einzelnen Diplomaten, ereiferte sich über von Manteuffel, seinem vorgesetzten Minister, der sein Gehalt ohne jede Erklärung um dreitausend Taler gekürzt habe und keine Mittel zur Einrichtung einer standesgemäßen Residenz bereitstelle.

»Ich räume ein«, sagte er, »dass man mit achtzehntausend Reichstalern gut und elegant leben kann. Aber ich brauche einen Ort für meine Familie, einen Garten und ein Haus mit großen Zimmern.« Kurz schwieg er, schien einen Augenblick zu überlegen, bis er dann auf sein eigentliches Thema zu sprechen kam. »Sie haben mich«, sagte Bismarck, »wenn Sie sich erinnern, in meiner zugegebenermaßen wilden Jugend kennengelernt und womöglich das eine oder andere Gerücht über die Zeit in Aachen gehört. Nun, manches mag stimmen, vieles, was erzählt wird, entspricht jedoch nicht der Wahrheit, auch wenn es wie diese klingen mag. Mein Verschulden ist allerdings, dass ich damals einen Gefallen daran hatte, mit allerlei Geschichten und Erzählungen bestimmte Eindrücke wenn nicht selbst hervorzubringen, dann doch zu verstärken. So hatte ich wie jeder junge Mann eine gewisse Anzahl von Begegnungen mit der Damenwelt, über die ich als Kavalier natürlich schwieg und noch immer schweige, welche aber wohl nicht unbeobachtet blieben. Kurz und gut, man dichtete mir ein gutes Dutzend Affären an, was ich aus jugendlichem Leichtsinn heraus mit einer gewissen Selbstgefälligkeit genoss. Die Zeit und meine Jugendstreiche sind lange vorbei; ich bin heute ein Mann von sechsunddreißig, glücklich verheiratet und stolzer Vater prächtiger Kinder und vertrete die Interessen meines Königs im Bundestag. Doch vor etwa vier Jahren erhielt ich, gerade von der Hochzeitsreise zurückgekehrt, einen merkwürdigen Brief, der, wie ich annahm, von einer Frau stammte, obwohl ich mich in dieser Hinsicht unter Umständen getäuscht haben könnte. Jedenfalls wurden in diesem Brief seltsame Beschuldigungen erhoben, die mich trotz aller Wirrnis



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