Überland by Raynor Winn

Überland by Raynor Winn

Autor:Raynor Winn
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Dumont Reiseverlag
veröffentlicht: 2022-10-06T11:08:06+00:00


20 »Gehen Sie nach Norden? Dann haben Sie den schlimmsten Abschnitt wenigstens schon hinter sich.« Wir händigen dem Rezeptionisten vom Vortag den Schlüssel aus.

»Nein, wir gehen nach Süden. Was meinen Sie mit dem schlimmsten Abschnitt?« Mir schwant Übles: Hat nicht die Frau aus dem Fahrradgeschäft auch so etwas erwähnt?

»Der Weg führt etwa dreißig Kilometer am See entlang, und ein großer Teil davon verläuft über ein Geröllfeld – das zu durchqueren ist die Hölle. Wenn Leute auf dem West Highland Way aufgeben, dann an dieser Stelle.«

Wir sitzen auf der Bank vor dem Hotel in der schon jetzt heißen Sonne und lesen den Wanderführer.

»Hier steht: ›ein mühseliger Auf-und-Ab-Weg‹. Vielleicht sollten wir es bleiben lassen und einfach den Bus nehmen.« Moths Füße haben ihm auf dem relativ leichten Weg von Fort William hierher so wehgetan, dass ich mich frage, wie er weitermachen soll. Ich schlage das Buch zu und finde mich damit ab, dass wir am Schlusspunkt angelangt sind. Aber er setzt bereits seinen Rucksack auf.

»Nein, ich hole mir nur noch ein paar Mars-Riegel, dann nehmen wir die nächste Fähre. Außer natürlich, du willst hinwerfen.«

***

Die Felsbrocken liegen erst nur verstreut, rasch jedoch wird eine beständige Kletterei daraus, über Felsen hinweg, zwischen Felsen hindurch und um Felsen herum. Es ist anspruchsvoll, aber Richtung Süden vielleicht doch etwas leichter als umgekehrt, oder vielleicht geht es auch bergab, denn als uns die ersten Wanderer entgegenkommen, zeigen sie alle Anzeichen von Erschöpfung: Sie schwitzen, fluchen, kriechen und jammern. Aber wir wandern an einem See entlang, also kann es nicht bergab gehen, es ist tatsächlich flach, nur eben voller Felsbrocken. Möglicherweise profitieren unsere Beine nun davon, dass sie uns durch die Moore des Nordens geschleppt haben. Ich sehe Moth zu, wie er sicheren Schrittes über die Felsen und um die Felsen herum klettert, ohne das Gleichgewicht zu ver­lieren, mit genug Puste, um stehen zu bleiben und zu plaudern. ­Vielleicht, ja vielleicht.

Eine Gruppe von Mädchen wartet am Fuß einiger Stufen, um uns den Vortritt zu lassen.

»Habt ihr Rob Roys Höhle gesehen?«

»Nein.«

Rob Roy nahm an den ersten Jakobitenaufständen teil und lebte den Großteil seines Lebens als Bandit und Rebell, bis er mit über fünfzig Jahren begnadigt wurde. Heute ist seine Geschichte eine der vielen Legenden von Volkshelden hier in diesen Hügeln und bringt Menschen dazu, auf der Suche nach einer Höhle, in der er angeblich auf einem seiner Raubzüge gelebt hat, über Geröllfelder zu klettern.

Wir setzen unseren Weg nach Süden fort, während die Party nach Norden zieht. Männer in Kilts, junge Frauen in Lycra, Omas mit CD-Spielern, aus denen »Flower of Scotland« über den Loch schallt, ein Mann, der von Kopf bis Fuß mit einem glänzenden blauen Synthetikstoff bekleidet ist und uns auf halbem Weg über einen Felsen anhält.

»Habt ihr Rob Roys Höhle gesehen?«

»Nein.«

Durch das Blätterdach der Bäume sehen wir, dass die Sonne hoch über den Bergen steht, selbst im Schatten ist es warm, und die Felsen wollen nicht aufhören, sie ziehen sich Kilometer um Kilometer dahin. Zwei Männer in Fahrrad-Outfits aus Lycra quälen sich vorbei, sie tragen klobige Mountainbikes auf den Schultern.



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