David Hunter 06 - Die ewigen Toten by Beckett Simon

David Hunter 06 - Die ewigen Toten by Beckett Simon

Autor:Beckett, Simon [Beckett, Simon]
Format: epub
veröffentlicht: 2019-02-11T16:00:00+00:00


An diesem wolkenverhangenen Morgen wirkte die Straße mit den verrammelten Reihenhäusern noch trostloser. Ich parkte am Straßenrand vor Lolas Haus. Durch die Ritzen der Jalousie drang Licht, und so wusste ich wenigstens, dass sie zu Hause war. Natürlich war es auch möglich, dass sie es für ihren Sohn hatte brennen lassen, während sie unterwegs war, doch an dem verregneten Abend, an dem ich sie nach Hause gefahren hatte, hatte sie sich auch nicht die Mühe gemacht. Ein Gefühl sagte mir, dass das in ihren Augen Stromverschwendung wäre.

Beim Aussteigen warf ich einen Blick zu dem Haus der Nachbarin hinüber. Still und dunkel lag es da, leider. Ich hätte gern noch einmal mit ihr gesprochen.

Ich stieg die Stufen hoch und klopfte an Lolas Haustür. Dabei ließ ich die Jalousie nicht aus den Augen. Und tatsächlich, ein paar Sekunden später bewegten sich die Lamellen, und jemand spähte heraus. In der Hoffnung, dass die Neugier den Wunsch, mich einfach vor der Tür stehen zu lassen, besiegen würde, hielt ich eine braune Papiertüte hoch.

Die Lamellen schlossen sich, doch sonst passierte nichts. Ich ließ den Blick durch die öde Straße mit den heruntergekommenen Häusern schweifen, hier kümmerte sich keiner mehr um irgendwas. Gerade als ich die Hand hob, um ein zweites Mal zu klopfen, hörte ich, wie aufgeschlossen wurde. Wie bei meinem ersten Besuch öffnete sich die Haustür ein paar Zentimeter weit, dann erschien Lolas unfreundliches Gesicht über der Kette.

«Was wollen Sie?»

«Ich haben Ihnen was mitgebracht.» Ich zeigte ihr die braune Tüte.

Missmutig spähte sie durch den Türschlitz. «Was ist das?»

Ich öffnete die Tüte, nicht so sehr, um den Inhalt zu zeigen, als dass sie ihn riechen sollte. «Ein Grillhähnchen.»

Ich hatte auf dem Weg bei einem Feinkostladen neben Ballard Court angehalten. Die Preise waren zwar eher für die gut betuchte Nachbarschaft als für einen umquartierten forensischen Anthropologen gemacht, doch ich hatte trotzdem ab und zu mit Rachel dort eingekauft. Neben der Auslage mit Sennereikäse und hausgemachter Sülze gab es einen verglasten Grillspieß, an dem sich knusprig-fettige Hähnchen drehten, jeden Morgen frisch zubereitet. Der Duft drang bis auf die Straße, und mir war klargeworden, dass Lolas Einkäufe praktisch ausschließlich aus Fertigmahlzeiten oder Dosen bestanden. Jedenfalls sicher nichts wie das immer noch warme Hähnchen, dessen Duft ihr gerade in die Nase stieg.

Ich sah ihre Nasenflügel beben, als der pikante Geruch sie erreichte. Zwar war ich nicht stolz darauf, eine alte Frau zu manipulieren, doch ich redete mir ein, dass es einem guten Zweck diente. Es war natürlich denkbar, dass sie das Hähnchen nahm und mir die Tür vor der Nase zuschlug. In dem Fall blieb mir wenigstens die Gewissheit, dass sie und ihr Sohn etwas Gutes zu essen hatten.

Sie sah wieder zu der Tüte hin. Die Tür ging zu, und ich hörte, wie die Kette gelöst wurde. Dann ging sie wieder auf, ein ganzes Stück weiter diesmal, und Lola streckte den Arm nach der Tüte aus.

«Kann ich reinkommen?», fragte ich ohne loszulassen.

Sie starrte mich böse an, doch ihr Blick wanderte immer wieder zu der Tüte. «Wozu das denn?»

Ich wagte ein Lächeln.



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