Ãber die Religion by Friedrich Schleiermacher
Autor:Friedrich Schleiermacher [Schleiermacher, Friedrich]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Zeno.org
veröffentlicht: 2015-06-28T22:00:00+00:00
Vierte Rede
Ãber das Gesellige in der Religion oder über Kirche und Priestertum
Diejenigen unter Euch, welche gewohnt sind die Religion nur als eine Krankheit des Gemüts anzusehen, pflegen auch wohl die Idee zu unterhalten, daà sie ein leichter zu duldendes, ja vielleicht zu bezähmendes Ãbel sei, so lange nur hie und da Einzelne abgesondert damit behaftet wären, daà aber die gemeine Gefahr aufs höchste gestiegen und Alles verloren sei, sobald unter mehreren Unglücklichen dieser Art eine allzunahe Gemeinschaft bestände. In jenem Falle könne man durch eine zweckmäÃige Behandlung, gleichsam durch eine der Entzündung widerstehende Diät und durch gesunde Luft die Paroxismen schwächen, und den eigentümlichen Krankheitsstoff, wo nicht völlig besiegen, doch bis zur Unschädlichkeit verdünnen; in diesem Falle aber müsse man jede Hoffnung zur Rettung aufgeben; weit verheerender werde das Ãbel und von den gefährlichsten Symptomen begleitet, wenn die zu groÃe Nähe der Andern es bei jedem Einzelnen hegt und schärft; durch Wenige werde dann bald die ganze Atmosphäre vergiftet, auch die gesundesten Körper werden angesteckt, alle Kanäle, in denen der Prozeà des Lebens vor sich gehen soll, zerstört, alle Säfte aufgelöset, und von dem gleichen fieberhaften Wahnsinn ergriffen, sei es um ganze Generationen und Völker unwiderbringlich getan. Daher ist Euer Widerwille gegen die Kirche, gegen jede Veranstaltung, bei der es auf Mitteilung der Religion angesehen ist, immer noch groÃer als der gegen die Religion selbst, daher sind Euch die Priester, als die Stützen und die eigentlich tätigen Mitglieder solcher Anstalten die VerhaÃtesten unter den Menschen. Aber auch diejenigen unter Euch,[97] welche von der Religion eine etwas gelindere Meinung haben, und sie mehr für eine Sonderbarkeit als eine Zerrüttung des Gemüts, mehr für eine unbedeutende als gefährliche Erscheinung halten, haben von allen geselligen Einrichtungen für dieselbe vollkommen eben so nachteilige Begriffe. Knechtische Aufopferung des Eigentümlichen und Freien, geistloser Mechanismus und leere Gebräuche, dies meinen sie seien die unzertrennlichen Folgen davon, und das kunstreiche Werk derer, die sich mit unglaublichem Erfolg groÃe Verdienste machen aus Dingen, die entweder Nichts sind, oder die Jeder andre gleich gut auszurichten imstande wäre. Ich würde über den Gegenstand, der mir so wichtig ist, mein Herz nur sehr unvollkommen gegen Euch ausgeschüttet haben, wenn ich mir nicht Mühe gäbe Euch auch hierüber auf den richtigen Gesichtspunkt zu stellen. Wieviel von den verkehrten Bestrebungen und den traurigen Schicksalen der Menschheit Ihr den Religionsvereinigungen schuld gebt, habe ich nicht nötig zu wiederholen, es liegt in tausend ÃuÃerungen der Vielgeltendsten unter Euch zu Tage; noch will ich mich damit aufhalten diese Beschuldigungen einzeln zu widerlegen, und das Ãbel auf andere Ursachen zurückzuwälzen: laÃt uns vielmehr den ganzen Begriff einer neuen Betrachtung unterwerfen und ihn vom Mittelpunkt der Sache aus aufs neue erschaffen, unbekümmert um das, was bis jetzt wirklich ist, und was die Erfahrung uns an die Hand gibt.
Ist die Religion einmal, so muà sie notwendig auch gesellig sein: es liegt in der Natur des Menschen nicht nur, sondern auch ganz vorzüglich in der ihrigen. Ihr müÃt gestehen, daà es etwas höchst Widernatürliches ist, wenn der Mensch dasjenige, was er in sich erzeugt und ausgearbeitet hat, auch in sich verschlieÃen will.
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