Würde: Was uns stark macht - als Einzelne und als Gesellschaft (German Edition) by Gerald Hüther

Würde: Was uns stark macht - als Einzelne und als Gesellschaft (German Edition) by Gerald Hüther

Autor:Gerald Hüther [Hüther, Gerald]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Albrecht Knaus Verlag
veröffentlicht: 2018-03-04T23:00:00+00:00


Woher kommt das Empfinden der eigenen Würde?

WER JEMALS MITERLEBEN durfte, wie ein Fohlen geboren wird, wird das wohl nie wieder vergessen. Kaum hat das Neugeborene sich von den Strapazen des Geburtsvorgangs ein wenig erholt, versucht es auch schon mit aller Kraft auf die Beine zu kommen. Und dann steht es, ein wenig wackelig zwar, aber doch schon recht fest auf seinen vier Beinen. Wenig später hat es auch schon herausgefunden, wie es die mütterliche Brust erreicht, und beginnt zu säugen. Schon am nächsten Tag springt dieses Fohlen neben seiner Mutter ziemlich sicher und behände über die Weide. Niemand hat ihm gezeigt, wie das alles geht, von ganz allein hat es das Schritt für Schritt herausgefunden. Uns als Beobachtern erscheint das wie ein Wunder.

Wenn wir jedoch in sein kleines Gehirn hineinschauen könnten, würden wir zwei Bereiche erkennen, die beide gleichzeitig aktiviert werden, bevor es aufsteht, bevor es zu säugen und herumzuspringen beginnt. In dem einen Bereich, im sensomotorischen Kortex, sind es spezifische neuronale Verschaltungsmuster, die bereits vorgeburtlich herausgeformt worden sind und die für die Steuerung der jeweiligen Bewegungsmuster beim Aufstehen, beim Säugen oder beim Umherspringen zuständig sind. Die sind also bereits da, sie müssen nur noch angeregt, also aktiviert werden. Und zu dieser Aktivierung kommt es im Hirn des neugeborenen Fohlens dadurch, dass in den tieferen Bereichen seines Gehirns ein Impuls generiert wird, weil dort ein ebenfalls schon vorgeburtlich entstandenes neuronales Netzwerk in Erregung gerät. Diese Erregung springt dann auf das für die jeweilige Verhaltensreaktion verantwortliche Netzwerk über, und dann stellt sich das Fohlen – so gut es geht – auf seine vier Beine, versucht zu säugen oder der Stute auf der Weide zu folgen. Dieses im Mittelhirn lokalisierte, spezifische Verhaltensmuster nicht steuernde, sondern in Gang bringende Netzwerk nennen die Hirnforscher Antriebs- oder Motivationssystem. Das haben nicht nur die kleinen Fohlen, sondern auch alle anderen Säugetiere. Und es funktioniert bei allen nicht nur am Anfang, wenn sie auf die Welt kommen, sondern ihr ganzes Leben lang.

Sonst könnten sie keine einzige Handlung ausführen. Selbst das beste sensomotorische Verschaltungsmuster für die Steuerung des Aufstehens, des Säugens oder des Umherspringens wäre völlig nutzlos, wenn es nichts gäbe, was diese Handlungsmuster zunächst einmal aktiviert. Und aktiviert werden sie durch das, was wir ein Bedürfnis nennen. Das Fohlen muss das Bedürfnis haben aufzustehen, zu säugen oder herumzuspringen. Sonst passiert nichts. Normalerweise erwacht ein solches Bedürfnis nach dem anderen, sobald der Geburtsstress vorbei ist.

Es entsteht von ganz allein und ist nichts anderes als der Ausdruck eines subjektiven Empfindens. Bei verschiedenen Fohlen und in Bezug auf bestimmte Verhaltensreaktionen kann dieses sich als Bedürfnis äußernde, subjektive Empfinden unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Aber etwas wollen sie alle, sonst würde ein Fohlen keinen Tag lang überleben, und es könnte auch nichts von alldem hervorbringen, erweitern, vervollständigen und hinzulernen, was es braucht, um ein richtiges Pferd zu werden.

Bei uns Menschen ist das prinzipiell nicht anders, aber wir sind und werden eben keine Pferde. Wenn wir zur Welt kommen, gibt es in unserem Gehirn noch keine neuronalen Verschaltungsmuster, die schon so weit ausgereift



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