John F. Kennedy by Alan Posener

John F. Kennedy by Alan Posener

Autor:Alan Posener [Posener, Alan]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783644000605
Herausgeber: Rowohlt E-Book


«Der Westen tut NICHTS!» – Chruschtschow baut eine Mauer

Berlin ist damals der gefährlichste Ort der Welt. Dabei ist die geteilte Stadt weder für die eine noch für die andere Seite strategisch wichtig. Die Gefahr geht von der perversen Logik des Kalten Krieges aus. Denn sie verlangt, dass beide Seiten die Fähigkeit entwickeln, einander mehrfach auszulöschen, und dass sie glaubwürdig mit dem Einsatz ihrer Massenvernichtungswaffen drohen, falls ihre Interessen gefährdet werden. So wird die permanente Drohung mit einem globalen, nuklearen Selbstmordattentat zur Bedingung dafür, dass dieses Attentat nie stattfindet, dass der Kalte Krieg kalt bleibt. Dabei kann eine Fehlinterpretation der Absichten der Gegenseite, ein außer Kontrolle geratener Regionalkonflikt oder gar – wie in Stanley Kubricks Film «Dr. Strangelove» (1964) – die Wahnsinnstat eines Untergebenen jederzeit den «nuklearen Holocaust» auslösen. In Berlin stehen sich amerikanische und sowjetische Truppen an einer offenen Grenze gegenüber. Hier ist das Potenzial für eine Fehlkalkulation am größten. Berlin wirkt wie der Zünder des Atomkriegs.

Der Status der Stadt ist ein Überbleibsel des Zweiten Weltkriegs. Nach dem Sieg über Nazi-Deutschland sind die Siegermächte übereingekommen, Deutschland aufzuteilen und gemeinsam zu verwalten; die im sowjetisch besetzten Teil liegende deutsche Hauptstadt wird noch einmal geteilt. Als im Zuge des Kalten Krieges die rivalisierenden Mächte aus ihren Besatzungszonen zwei deutsche Staaten schaffen, liegen die drei westlichen Sektoren Berlins mitten in der kommunistisch beherrschten DDR. Aufgrund der vereinbarten «gemeinsamen Verantwortung» der Siegermächte für Berlin als Ganzes bleibt die Sektorengrenze auch dann offen, als der «Eiserne Vorhang» Osteuropa einschließlich der DDR vom Westen abriegelt.

Immer mehr Menschen fliehen aus der DDR nach West-Berlin und von dort per Flugzeug weiter in die Bundesrepublik, vor allem hochqualifizierte, leistungsbereite und idealistische junge Leute, darunter Ärzte, Lehrer und Wissenschaftler: die Elite der Gesellschaft. In manchen Teilen der DDR gibt es im Umkreis von 60 Kilometern keinen Arzt mehr. Zwischen Kriegsende und 1961 verlassen 4,7 Millionen Menschen den östlichen Teil Deutschlands; allein 1960/61 sind es 400000. Das Ausbluten der DDR ist nicht nur für den von Moskau dort installierten kommunistischen Parteichef Walter Ulbricht ein Problem, der seit 1952 auf eine Abriegelung der Sektorengrenze in Berlin drängt. «Wenn der Sozialismus in der DDR nicht gewinnt, wenn sich der Kommunismus hier nicht als überlegen und lebensfähig erweist, dann haben wir nicht gewonnen», warnt Chruschtschows Stellvertreter Anastas Mikojan im Juni 1961. «Diese Angelegenheit ist für uns von grundlegender Bedeutung.»[200]

Chruschtschow, der sich gern als Schachspieler darstellt, in Wirklichkeit aber eher zum Pokern neigt, entscheidet sich charakteristischerweise für die Flucht nach vorn. Schon 1958 droht er, einen separaten Friedensvertrag mit der DDR abzuschließen, der Ulbrichts Regime die Kontrolle über alle Zugänge zum Westteil Berlins übertragen und die Rechtsgrundlage für die Anwesenheit westlicher Truppen in der Stadt aufheben würde. Der dann zu erwartende Kollaps West-Berlins würde nicht nur das Flüchtlingsproblem lösen, sondern das westliche Bündnis erschüttern.

Bundeskanzler Konrad Adenauer, misstrauisch gegen den deutschen Nationalismus und die deutsche Neigung zum antiwestlichen Affekt, hat gegen starke Widerstände innerhalb und außerhalb seiner CDU seit 1949 alle sowjetischen Angebote zurückgewiesen, die Wiedervereinigung Deutschlands durch Neutralisierung zu erlangen. Den westdeutschen Teilstaat hat er in das westliche Militärbündnis NATO und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG geführt.



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