Wo immer du bist (German Edition) by Busby Cylin

Wo immer du bist (German Edition) by Busby Cylin

Autor:Busby, Cylin [Busby, Cylin]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Bastei Lübbe (Boje)
veröffentlicht: 2014-06-01T00:00:00+00:00


17. Kapitel

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war es ein heller Wintertag – so ein Tag, an dem das Sonnenlicht zu weiß ist, zu grell und man sich beinahe auf einem anderen Planeten wähnt, science-fiction-mäßig. Der Wecker zeigte erst 9.30 Uhr. Hatten wir Sonntag oder Montag? Im ersten Moment wusste ich es nicht. Dann fiel es mir ein. Es war Sonntag. Gestern war Samstag gewesen. Mom und Dad und Allie und Mike. Und Olivia. Ihr Gesicht letzte Nacht, dieser Kuss, wie sie mir Lebwohl gesagt hatte. Aber das hatte sie nicht so gemeint. Ich kannte sie, genau wie sie mich kannte. Und ich wusste, dass jeden Augenblick die Ziehharmonikatür aufgehen und sie mit ihrem Infusionsständer dastehen würde, bestimmt schaute sie auf ihre Füße, weil sie sich für ihr Benehmen und ihre Worte letzte Nacht schämte. Sie hatte mir gesagt, dass sie mich liebte. Das war zwar keine große Überraschung – es war eine von vielen unausgesprochenen Tatsachen zwischen uns –, aber sie hatte es doch gesagt, und das bedeutete etwas. Ich wusste sehr gut, wie viel dazu gehört, diesen Satz zu jemandem zu sagen, der Erste zu sein, der es ausspricht. Bei Allie war ich es gewesen.

Eines Nachmittags waren wir nach der Schule zusammen zur Bushaltestelle gegangen. Ich hätte an dem Tag eigentlich nicht so lange in der Schule bleiben müssen, weil meine Arbeit an den Bühnenbildern so gut wie erledigt war, aber ich war trotzdem geblieben. Ich ließ mir eine Ausrede einfallen, um Allie auf der Bühne zuzuschauen. Sie war gut, das war mir schon vorher aufgefallen, aber jetzt, wo wir zusammen waren, machte es mich so wahnsinnig stolz zu sehen, wie sie sich auf der Bühne bewegte und ihren Text sprach. Sie schlüpfte mühelos in ihre Rolle – eben hatte sie noch hinter der Bühne rumgealbert, und im nächsten Moment war sie ganz und gar das Mädchen, das sie darstellen sollte. Eines Tages könnte sie berühmt sein, warum nicht, sie war begabt und sehr hübsch. Und sie hatte etwas Besonderes, man wollte ihr einfach näherkommen, bestimmt war ich nicht der Einzige, dem es so ging.

Als wir zwei Stunden später die Schule verließen, war es draußen eiskalt, fast dunkel, und wir gingen eng beieinander. Allie trug ihre aufgeplusterte blaue Jacke. Sie sah aus wie ein blaues Marshmallow mit weißer Mütze, süß, obwohl ich wusste, dass sie das selbst nicht fand. Ich hob sie immer wieder hoch und drückte sie, sodass die Luft aus ihrer Daunenjacke gepresst wurde, aber sie plusterte sich jedes Mal sofort wieder auf. »Hör auf!« Sie lachte. »Lass mich runter!« Aber ich machte immer weiter, bis sie beinahe wirklich ärgerlich wurde.

Als wir an der Bushaltestelle standen und warteten, stellte ich mich hinter sie und legte ihr die Arme um die Taille. Sie lehnte sich an mich und wir sagten nichts. Obwohl es eiskalt war, war ich wunschlos glücklich, wie ich da mit Allie stand und dem herabrieselnden Schnee lauschte. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, verstehe ich, warum: Wir waren allein. Es gab keine Ablenkung, und deshalb gehörte sie in diesem Moment nur mir.



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