Wie weiter mit Karl Marx? (»Wie weiter mit ... ?«) by Heinz Bude

Wie weiter mit Karl Marx? (»Wie weiter mit ... ?«) by Heinz Bude

Autor:Heinz Bude [Bude, Heinz]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fachbücher, Sozialwissenschaft, Soziologie, Soziologische Theorien
Herausgeber: Hamburger Edition HIS
veröffentlicht: 2016-06-14T23:00:00+00:00


Marx will nicht akzeptieren, dass mit der Einwilligung des doppelt freien Lohnarbeiters, gegen Lohn Eigentum für andere zu produzieren, sich jede Berechtigung für Empörung erübrigt. Es ist doch nicht in Ordnung, dass diejenigen, die in ihrer Mehrheit die Werte einer Gesellschaft produzieren, auf die Verwendung des von ihnen geschaffenen Mehrwerts, den die Kapitalisten als legitimen Gewinn einstecken, keinen Einfluss mehr haben. Sie sozialisieren sich »naturwüchsig« in der Fabriksozialisation, werden aber am folgenreichen Ausdruck dieser durch den Produktionsprozess herbeigeführten Vergesellschaftung aufgrund der Privatisierung von Investitionsentscheidungen und Anlagestrategien systematisch gehindert. Es besteht mit den Worten von Claus Offe aus dem Jahre 1972 eine »institutionalisierte Nicht-Relevanz des mit der Kapitalakkumulation inkompatiblen konkreten Bedürfnisses oder, anders ausgedrückt: die Abwesenheit eines praktisch folgenreichen Begriffs von den konkreten gesellschaftlichen Folgen der Kapitalverwertung«.32

Einfluss kann wie bei Offe politische »Organisation und Planung«, aber auch gemäß den Imperativen gewerkschaftlicher Politik materielle Beteiligung oder symbolische Berücksichtigung heißen. In der Regel wollen die arbeitenden Massen alles drei: einen höheren Lohn, weil die unablässige Produktivitätssteigerung auf ihrem Rücken ausgetragen wird, einen Ausdruck ihrer Bedeutung, denn schließlich schaffen sie die Werte, von denen alle profitieren, und nicht zuletzt die politische Kontrolle der »verwilderten« Verwertung. Jedenfalls besteht eine Berechtigung, die Stimme zu erheben und den Anteil einzuklagen.

Marx denkt in Begriffen von Substanz, Identität und Idealität, um der Arbeiterklasse zum legitimen Ausdruck zu verhelfen. Vor diesem Hintergrund versteht sich sein moralischer Kommentar zum Kapitalismus: Die kapitalistische Wirtschaftsweise ist »inhuman«, »ungerecht« und »ineffizient«.33 »Inhuman«, weil sie den Menschen seiner wesentlichen Kreativität beraubt. Dem sich in der Arbeit selbst verwirklichenden Menschen wird aufgrund der Kapitallogik sein Produkt enteignet und dadurch wird er seiner selbst entfremdet. Es zählt nicht das individuelle Arbeitsvermögen, sondern allein die standardisierte Arbeitskraft. Die kapitalistische Produktionsweise verewigt die Verkehrung von Subjekt und Objekt, weil die gesamte Kreativität der Arbeit nur der Produktivität des Kapitals dient.

Das Andere der bürgerlichen Gesellschaft ist daher eine Gesellschaft allseitig kreativer Menschen, die sich ihre Zwecke selbst setzen und sich in ihren Produkten wiedererkennen. In Abstoßung von seiner Existenz als Ware für andere wird der Mensch ein Wesen für sich. So offenbart die Marxsche Kritik an den verkehrten Verhältnissen ein implizites Künstlerideal, das den Menschen auf die Arbeit und den Einzelnen auf seine Selbstverwirklichung festlegt.

Der Kommunismus ist dann der vollendete Individualismus, der das Prinzip einer transparenten Menschheit auf die Spitze treibt. Darin ist der Mensch ein absolut immanentes Wesen, das nichts anderes als sein Werk ist und in der werktätigen Gemeinschaft alles und jedes zu seinem Werk macht. Diese »monistische Sehnsucht«34 überführt den Marxismus freilich eines identitären Humanismus, der aus der Weigerung eines Denkens entsteht, einen anderen Ursprung als sich selbst zu haben.

Gegen diese humanistische »Ideologie« und zentristische »Metaphysik« des Marxismus haben untreue Denker wie Althusser oder Derrida die Überdetermination oder die Schrift gesetzt, um das Gespenstische der marxistischen Hoffnung auf eine erfüllte Gegenwart denkbar zu machen. Demnach gibt es kein inneres Prinzip, das für die Erzeugung des konstitutiven Widerspruchs wie für dessen Aufhebung in einer höheren Einheit verantwortlich wäre. Im Gegenzug zum humanistischen Einheitsdenken, das sich im Vorwurf der



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