Wie das Gehirn Spitzenleistung bringt by Karolien Notebaert & Peter Creutzfeldt

Autor:Karolien Notebaert & Peter Creutzfeldt [Notebaert, Karolien; Creutzfeldt, Peter]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Frankfurter Societäts-Medien GmbH
veröffentlicht: 2016-01-29T00:00:00+00:00

„Vorbehaltlose Achtsamkeit” und Autonomie

In den unterschiedlichen Meditationstechniken geht es darum, sich dessen gewahr zu sein, was in uns und um uns herum geschieht. Eine klassische Übungssequenz wäre: zunächst einige Wochen den Atem zu beobachten; dann eine Zeitlang statt des Atems die Gedanken zu beobachten; dann die Emotionen; anschließend die Umwelt (hören, sehen etc.) und schließlich die „offene“ Mindfulness-Meditation, in der Sie sich nicht mehr auf einen bestimmten Aspekt fokussieren, sondern nur noch „ein großer Spiegel“ sind, der alles reflektiert, was sich in ihm findet. (Eine ausführliche Darstellung der Meditationstechniken finden Sie im nächsten Kapitel.) Dabei ist ganz besonders wichtig, nicht die Konzentration zu nutzen, um etwas Bestimmtes zu beobachten – man spricht auch von „vorbehaltloser Achtsamkeit“ („Choiceless Awareness“). Dies ist sozusagen das Gegenteil von Konzentration: Man könnte „Dezentration“ sagen. Wenn wir uns konzentrieren, sind wir im „Tun-Modus“, wenn wir meditieren im „Sein-Modus“, im „Nicht-Tun“. Laut Osho ist Meditation ein Nicht-Tun: In Konzentration vollziehen wir eine Handlung, mit der wir gezielt andere Reize ausblenden. Dies verlangt nach einer Zeit eine Erholungspause (weil es präfrontale Ressourcen erfordert); Meditation dagegen ist entspannend, blendet keine Reize aus (sondern nimmt sie achtsam zur Kenntnis) und kann uns nicht ermüden.

„Choiceless awareness“ ist der Zustand, in dem der alte Mann in der Geschichte am Anfang des Kapitels ist. Er lebt Mindfulness selbst in Situationen, die normalerweise eine extreme Erregung der Amygdala auslösen würden. Was ihn von Menschen unterscheidet, die weniger achtsam sind, ist nicht ein Mangel an Initiative oder Handlung. Dies ist oft das stereotype Missverständnis. Es geht auch nicht darum, dass der Alte emotionslos ist. Er leidet natürlich wie jeder Vater, wenn der Sohn sich verletzt, und wie jeder Bauer, wenn seine Existenz auf dem Spiel steht. Der wirkliche Unterschied liegt in der emotionalen Reaktion und inneren Haltung angesichts einer Situation. Er ist wie der Ruhepol im Zentrum des Sturms und lässt sich nicht von ihm hin- und herreißen: Der Sturm verändert sich nicht, ob wir nun von innen her ruhig sind oder aufgeregt. Nur für uns selbst sind die Auswirkungen unterschiedlich. Der alte Mann wird unendlich viele präfrontale Ressourcen sparen, und hat sie später für andere Herausforderungen zur Verfügung. Er braucht kein „Work-Life Balance“-Seminar. Er lebt eine innere Balance.

Autonomie: Wenn es bei Mindfulness darum gehen soll, urteilsfrei und ohne Wahl dem zu begegnen, was in diesem Moment innen und außen geschieht, dann muss es ein autonomer Prozess sein. Ein Eingreifen von außen steht potentiell unmittelbar im Konflikt mit der „vorbehaltlosen Achtsamkeit“, denn es lenkt die Aufmerksamkeit von außen. Aus diesem Grund sind wir im Allgemeinen keine Befürworter von „geführten Meditationen“. Die Aufmerksamkeit geht bei solchen Techniken immer wieder auf die Sprache des Führenden und seine Stimme zurück, während der Meditierende „multitasken“ muss, um immer wieder in den Mindfulness-Modus zu kommen, was inhärent unvereinbar ist. In Gruppen braucht es diese Art der Führung manchmal, zum Beispiel wenn man mit einer Gruppe gemeinsam eine Reise durch den Körper macht, um einzelne Körperpartien urteilsfrei wahrzunehmen. Ansonsten ist Intervention selbst nicht hilfreich. Sie kann aber wiederum dann helfen, wenn

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