Wer wir sind: Wie wir wahrnehmen, fühlen und lieben - Alles, was Sie über Psychologie wissen sollten (German Edition) by Stefanie Stahl

Wer wir sind: Wie wir wahrnehmen, fühlen und lieben - Alles, was Sie über Psychologie wissen sollten (German Edition) by Stefanie Stahl

Autor:Stefanie Stahl [Stahl, Stefanie]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Kailash
veröffentlicht: 2022-10-13T07:00:00+00:00


Meine Überlegungen zu Torsten

Wenn man sich über einen längeren Zeitraum nicht zwischen zwei Partnern entscheiden kann, dann hat das häufig mit Bindungsangst der Betroffenen zu tun.

Der Verlust an sexuellem Interesse an der Partnerin/dem Partner ist eines der Kernmerkmale bindungsängstlicher Beziehungen. Dass dies im Zeitraum der Geburt des ersten Kindes passierte, dürfte auf den Umstand zurückzuführen sein, dass die Geburt des Kindes ein weiterer Schritt zu mehr Festlegung und Verbindlichkeit gewesen ist. Bindungsängste brechen immer dann aus beziehungsweise werden stärker, wenn die nächste Phase der Verbindlichkeit in einer Beziehung eintritt, wie beispielsweise die Geburt eines Kindes.

Bindungsängstliche sind in der Regel überangepasst. Ihr Schattenkind hat abgespeichert, dass sie die Erwartungen ihrer Partner erfüllen müssen, um nicht zurückgewiesen zu werden. Dieser Erwartungsdruck, den sie verspüren, schlägt sich auf ihre Libido nieder. Ich vermute, dass Torsten sich gegenüber seiner langjährigen Partnerin geradezu verpflichtet fühlt, Sex mit ihr zu haben. Das löst passiven Widerstand in ihm aus. Die feste Partnerschaft bedroht seine Autonomie. Die Affäre fühlt sich hingegen freiwillig und verboten an. Also das Gegenteil von Verpflichtung, hier kann bei Torsten wieder Raum für Lust und Leidenschaft entstehen.

Der Grund dürfte Torstens Überangepasstheit sein. Deswegen kann er nicht klar fühlen, was er möchte und wohin es ihn zieht. Überangepasste haben Schwierigkeiten, ihre eigenen Gefühle von den Wünschen und Bedürfnissen ihrer Partner zu unterscheiden. Es ist höchstwahrscheinlich, dass Torsten sich als Kind zu stark den Erwartungen seiner Eltern unterordnen musste und daraus einen schlechten Kontakt zu seinen Gefühlen mitgenommen hat.

Weil Bindungsängstliche als Kinder die Verantwortung dafür übernommen haben, dass ihre Beziehung zu ihren Eltern gelingt, fühlen sie keine innere Freiheit in ihren Beziehungen. Sie haben das Gefühl, sich anpassen zu müssen. Aufgrund dieser gefühlten Unfreiwilligkeit entziehen sie sich der Verantwortung für ihre Partner. Unbewusst wird Torsten in seine Partnerin seine Eltern projizieren, hierdurch ist sie in seinen Augen die Stärkere. Diese verzerrte Wahrnehmungsperspektive, nämlich, dass er sich unbewusst als potenzielles Opfer seiner Partnerin wahrnimmt, vermindert sein empathisches Einfühlungsvermögen. Er verspürt kein Mitgefühl für ihre Situation. Er verspürt nur den Druck, sich entscheiden zu müssen.

Durch die Anspruchslosigkeit der Freundin wird Torstens Schattenkind (motivationales Schema, motivationale Landkarte, Mindmap, inneres Kind) nicht getriggert. Er gelangt also nicht in die Wahrnehmung seines Schattenkindes, nämlich, dass der kleine Torsten sich seinen Eltern anpassen muss.

Hier zeigt sich, dass Torstens Bindungsangst auch schon im ersten Anlauf mit seiner damaligen großen Liebe durchgebrochen ist. Auch damals hat er sich schon verpflichtet gefühlt und gemeint, die Erwartung seiner Freundin nicht erfüllen zu können. Letztlich verbirgt sich dahinter ein labiles Selbstwertgefühl, nämlich: nicht zu genügen. Dahinter verbirgt sich wiederum Verlustangst. Denn wenn Torsten nicht genügt, dann wird er seiner Freundin nicht gerecht und sie wird ihn irgendwann verlassen. Um dies zu vermeiden, verlässt er sie lieber selbst, dann hat er wenigstens Kontrolle über die Trennung. Durch die Trennung hat er also paradoxerweise seinen Bindungswunsch beschützt (er wird nicht verlassen), sein Selbstwertgefühl stabilisiert und sein Kontrollbedürfnis gestärkt. Hierdurch ist die sogenannte Täter-Opfer-Perversion eingetreten: Torsten, der sich als das potenzielle Opfer einer Trennung wähnte, hat sich, um diesen Schicksalsschlag abzuwehren, in die Täterrolle begeben und seine Freundin verlassen.



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