Weltgeschichtliche Betrachtungen (German Edition) by Jacob Burckhardt

Weltgeschichtliche Betrachtungen (German Edition) by Jacob Burckhardt

Autor:Jacob Burckhardt [Burckhardt, Jacob]
Die sprache: de
Format: azw
veröffentlicht: 2011-03-30T16:00:00+00:00


5. Die Religion in ihrer Bedingtheit durch den Staat

Zu den Religionen, die durch den Staat bedingt sind, gehören vor allem die beiden klassischen Religionen.

Man darf sich dabei nicht durch die vielen Ausdrücke der Frömmigkeit irre machen lassen, wie das horazische »dis te minorem quod geris imperas« oder Cicero, de legibus I, 7 (und sonst) oder die Stelle bei Valerius Maximus I: omnia namque post religionem ponenda semper nostra civitas duxit ... quapropter non dubitaverunt sacris imperia servire.

Welches auch ihre Religiosität gewesen sei,[Fußnote: Wir müssen uns immerhin darüber klar sein, daß dem Schicksal, das ja über Zeus stand, mit keiner Religion beizukommen war, und daß man sich mit dem Jenseits wenig abgab.] Griechen und Römer waren eine völlige Laienwelt; sie wußten eigentlich (wenigstens in ihren entwickelten Zeiten) nicht, was ein Priester sei; sie hatten stehende Zeremonien, aber kein Gesetz und keine schriftliche Offenbarung, welche die Religion über den Staat und das übrige Leben emporgehalten hätte. Ihre poetisch vermenschlichten, gegenseitiger Feindschaften fähigen Götter sind zum Teil sehr ausdrücklich Staatsgötter (πολιοῦχοι [poliouchoi]) und speziell zum Schutze des Staates verpflichtet; Apoll ist u.a. der Gott des Kolonienaussendens (ἀρχηγέτης [archegetes]) und muß in Delphi darüber Auskunft geben.

Mögen auch die Götter für alle Hellenen, ja auch für die Barbaren und für die ganze Welt geltend gedacht werden (was der Reflexion später nicht schwer fiel), so werden sie doch mit einem Zunamen lokalisiert und für die betreffende Stadt, den Staat oder eine spezielle Lebenssphäre verpflichtet.

Wenn Griechen und Römer Priester und eine Theologie gehabt hätten, so würden sie freilich auch ihren auf die menschlichen Bedürfnisse und Beziehungen gestellten, vollendeten Staat nicht geschaffen haben.[Fußnote: Renan Apôtres, S. 364. L'infériorité religieuse des Grecs et des Romains était la conséquence de leur supériorité politique et intellectuelle. La supériorité du peuple juif au contraire a été la cause de son infériorité politique et philosophique. Juden und Urchristen bauten eben die Gesellschaft auf die Religion, wie der Islam.]

Der einzige Fall, wo sich die römische Religion willentlich proselytisch zeigt, war etwa die Romanisierung der gallischen und anderen nördlichen und westlichen Götter; die Christen aber wollte man zur Kaiserzeit nicht etwa bekehren, sondern nur von Sakrilegien abhalten, und übrigens geschah dies beides im Dienste des Staates.

Die übrige alte Welt, der Orient, die Staaten des heiligen Rechts usw. sind viel mehr von der Religion bedingt, von welcher ja auch ihre Kultur in Schranken gehalten wird, als die Religion von ihnen; nur daß, wie oben gesagt, der Despotismus mit der Zeit vorschlägt, die Göttlichkeit auf sich bezieht und sich dabei satanisch aufführt.

Die Religionen behaupten ihre Idealität am ehesten, solange sie sich gegen den Staat leidend, protestierend verhalten, was freilich ihre schwerste Feuerprobe ist, an welcher gewiß schon mancher hohe Aufschwung untergegangen ist; denn die Gefahr, vom Staate ausgerottet zu werden, wenn derselbe eine andere, intolerante Religion vertritt, ist wirklich vorhanden. Das Christentum ist eigentlich das Leidende und seine Lehre vorhanden für Leidende, und es ist vielleicht von allen Religionen nächst dem Buddhismus am wenigsten geeignet, mit dem Staat in irgend eine Verbindung zu treten. Schon seine Universalität ist dem entgegen.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.