Welt im Zwiespalt by Wolfrum Edgar
Autor:Wolfrum, Edgar [Wolfrum, Edgar]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: 20. Jahrhundert, Geschichtspanorama, Gesellschaft, Weltgeschichte, Krieg, Terror, Ideologien, Welthandel, Demokratie, Frieden, Religionen, Säkularisierung, Geschichte, Sachbuch
Herausgeber: Klett-Cotta
veröffentlicht: 2017-01-29T23:00:00+00:00
Eine Regenbogengeschichte
Die zweite Welle der Frauenbewegung hatte anfangs intensiv mit der Bewegung der Schwulen und Lesben zusammengearbeitet. Sexuelle Handlungen zwischen Männern waren in allen Staaten strafbar. In vielen Ländern der Welt, in denen Homosexuelle verfolgt und mit dem Tode bedroht wurden, traf dies bis zum Ende des 20. Jahrhunderts zu. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde in Deutschland der betreffende Strafrechtsparagraph aus dem Jahr 1872 ausgeweitet. Die gesellschaftliche Ausgrenzung und brutale Verfolgung Homosexueller in der NS-Diktatur war lange Zeit in der deutschen Öffentlichkeit tabuisiert oder schlichtweg vergessen worden. Nach 1949 kehrte die DDR zu einer milderen Version aus der Weimarer Republik zurück und strich 1968 den »Homosexuellen-Paragraph« aus dem Strafgesetzbuch. Die Bundesrepublik hielt hingegen zunächst an der nationalsozialistischen Fassung fest. Die Strafbarkeit sexueller Handlungen zwischen Männern zwang diese ins Verborgene. Zwischen 1950 und 1965 wurden über 45 000 Personen in der Bundesrepublik Deutschland nach § 175 des Strafgesetzbuches verurteilt. Der Paragraph lautete: »Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen lässt, wird mit Gefängnis bestraft.«13 In den meisten westlichen Staaten war dies nicht anders. Überall berief man sich auf die christlichen Normen und die Notwendigkeit des »gesunden« und »natürlichen« Lebens. Erst seit dem Ende der 1960er Jahre kam Bewegung in diese »Regenbogengeschichte«. Die schwul-lesbische Bürgerrechtsbewegung in den USA, die sich nach den New Yorker Stonewall-Unruhen 1969 gebildet hatte – der Ursprung des »Christopher-Street-Day«, der bis heute gefeiert wird – war Vorbild für deutsche und weltweite Bewegungen. Seit 1969 war Homosexualität in Deutschland nicht mehr strafbar, dennoch galt sie bis zur Mitte der 1980er Jahre als sittenwidrig. Der § 175 des Strafgesetzbuches, der die »widernatürliche Unzucht« regelte, ist 1969 entschärft, doch erst 1994 abgeschafft worden. In diesem Jahr forderte das Europäische Parlament seine Mitgliedstaaten auf, gleichgeschlechtlich Lebende genauso wie andere Paare zu behandeln. Es appellierte an die Europäische Kommission, dass Homosexuellen der Zugang zur Ehe oder entsprechenden Regelungen eröffnet werden solle. In einer Reihe europäischer Länder waren seither entsprechende Regelungen umgesetzt worden, nicht jedoch in Deutschland. Beispielgebend für einige europäische Staaten war Dänemark, das bereits 1989 ein Lebenspartnerschaftsgesetz verabschiedet hatte.
Mit dem Vorhaben, auf diesem Feld die Bürgerrechte auszuweiten und die Diskriminierung abzubauen, betrat die seit 1998 amtierende rot-grüne Bundesregierung Neuland – doch dieses Terrain war in Deutschland hart umkämpft. Gravierende Benachteiligungen gleichgeschlechtlicher Paare gab es in steuerlicher Hinsicht und bei Unterhaltsregelungen, in der Altersabsicherung sowie der rechtlichen Stellung im Krankheitsfall. Dies zu beheben, würde, darin waren sich alle einig, einer gesetzgeberischen Innovation gleichkommen, denn es existierte keinerlei Regelung, an die man hätte anknüpfen können. Rot-Grün beanspruchte, »eine Kultur der Toleranz in einer solidarischen Gesellschaft neu (zu) begründen«,14 und der am 4. Juli 2000 eingebrachte Gesetzentwurf schlug vor, eine eigene familienrechtliche Form, nämlich die »Eingetragene Lebenspartnerschaft« für jene gleichgeschlechtlichen Paare zu schaffen, die »einen gesicherten Rechtsrahmen für ihr auf Dauer angelegtes Zusammenleben unter Einbeziehung ihrer gleichgeschlechtlichen Identität« wünschten.15 Was in der Öffentlichkeit als »Homo-Ehe« verhandelt wurde, war parlamentarisch höchst umstritten. Dies betraf nicht nur die grundsätzlichen Zweifel daran, ob Derartiges überhaupt notwendig sei. Das
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