Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition) by Kurt Flasch
Autor:Kurt Flasch [Flasch, Kurt]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-10-18T16:00:00+00:00
Der Kommentator bemüht sich, den inneren Zusammenhang der vierundzwanzig Definitionen zu zeigen. So sagt er zur dreiundzwanzigsten These, sie folge aus der Definition XXI: Gott, das ist die Finsternis, die in der Seele verbleibt nach allem Licht.
Die These sagt nicht einfach, Gott sei unerkennbar. Er wird von uns erfasst, aber nur im Geist, also nicht im Wahrnehmen, nicht im Fühlen, Ahnen oder Glauben. Er wird erfasst, aber dazu gehört die Denkarbeit der Seele, die zuvor alle ihre Inhalte untersucht hat. Insofern erklärt der Ausspruch XXIII auch die radikal-negativen Thesen XVI und XVII.
Der Kommentar gibt einen Abriss der Philosophie der Erkenntnis: Die menschliche Seele ist angewiesen auf äuÃere Erfahrung, die sich als Erkenntnisbild (species) in ihr abzeichnet. Alle ihre Erkenntnis beginnt mit den Sinnen, sie endet aber nicht mit ihnen. Denn die Seele bezieht ihr Bild des äuÃeren Eindrucks zurück auf das Urbild (exemplar), das sie in sich trägt. Sie ordnet und bewertet ihre Eindrucksbilder. Aber wovon hat die Seele urbildhafte, normative Ideen in sich? Die Antwort lautet: Sie hat sie nur von dem, was vom ersten Grund durch sie zum Sein gekommen ist. Was ist durch sie zum Sein gekommen? Die Angaben sind ungenau. Die Angaben sind restriktiv: Nicht alle Weltdinge sind durch die Seele ins Dasein â¹geflossenâº. Am wenigsten Gott. Wäre hier von der Weltseele die Rede, wäre die Welt aus ihr geflossen und also erkennbar. Als Menschenseele kennt sie so nur ihre eigenen Begriffe und ihre Taten. Diese kann sie beurteilen und bewerten. Aber vom ersten Grund hat sie keine apriorische Erkenntnis. Ihn muss sie suchen, indem sie die Welt durchgeht und aus allen Gegenständen den ersten Grund hervorhebt. Sie erkennt seinen Gegensatz zum Nichts und erfasst damit Gott. Insofern tappt sie nicht im Dunkeln. Ihr bleibt ein Resultat. Spruch XIV sprach es aus: Gott steht im Gegensatz zum Nichts. Aber diese Einsicht ist durch Negation gewonnen; es ist ein nicht-bestimmendes Bestimmen; es ist Nichtwissen nach vielem Wissen. Der Spruch sagt: Ihr müsst Erkenntnisphasen unterscheiden und widersprüchliche Aussagen ausgleichen, indem ihr sie auf Stadien der intellektuellen Arbeit bezieht: zuerst die sinnliche Erkenntnis, dann deren bewertender Vergleich mit den normativen Gedanken in der Seele, zuletzt das Ãbersteigen im Beseitigen, also im Negieren der gewonnenen Bestimmungen. Allein im Nichtwissen als letztem Schritt wird Gott gewusst. Sola ignorantia, wie es markant heiÃt. Dieses Wissen ist nicht inhaltslos; es besteht im AbstoÃen von Inhalten, im Fernhalten aller eingrenzenden Bestimmungen, die im Licht der unendlichen Einheit entstanden sind. Euch bleibt als Ertrag, dass ihr wisst, was Gott nicht ist. Nur so könnt ihr euch mit dem Einen vereinen, denn es geht nicht nur um Erkenntnis.[48] Dies mochte einigen Theologen zu wenig scheinen, die im 13. Jahrhundert gerade dabei waren, Theologie als â¹Wissenschaft⺠zu etablieren. Sie sahen ihre Aufgabe eher darin, bestimmte Prädikate mit dem Satzsubjekt â¹Gott⺠zu verknüpfen, und zwar nach eindeutigen Regeln.
Der Autor steht nicht allein, wenn er vom Nichtwissen als dem einzig wahren Wissen von Gott spricht. Der Mensch, heiÃt es bei Dionysius Areopagita in der Theologia mystica 1, müsse eintreten in die Finsternis.
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