was du willst by Karen-Susan Fessel

was du willst by Karen-Susan Fessel

Autor:Karen-Susan Fessel [Fessel, Karen-Susan]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Homosexualität, lesbisch, Berlin
veröffentlicht: 2015-08-03T16:00:00+00:00


Vier

Die ersten Wochen ohne Sille sind hart.

Ich bin wie erschlagen von dem Wissen, dass sie fort ist, nicht mehr erreichbar.

Die zweieinhalb Monate bis zu ihrer Abreise ziehen sich zäh und quälend dahin. Wir gehen uns aus dem Weg, haben uns nicht viel zu sagen. Einige Male sprechen wir über ihren Entschluss, über unsere Beziehung, die Zukunft, die wir beide momentan nicht erkennen können. Unsere Gespräche führen zu nichts, versickern in halbgaren Überlegungen, vorgetragen ohne tiefere Überzeugung. Wir wissen nicht, was wir noch miteinander planen sollen. Es ist, als ob uns alle gemeinsamen Wege versperrt wären. Es ist, als ob Sille schon gegangen wäre.

Und dann nimmt sie ihre Sachen und geht wirklich.

In meinem Schrank liegen noch ein paar von ihren Kleidungsstücken, ihre Wanderschuhe stehen im Flur, und ihre Wohnung hat sie fürs Erste behalten.

Aber dennoch ist sie fort. Aus meinem Leben.

Sie teilt mein Leben nicht mehr.

Und ich ihres.

Wir haben uns auch vorher nicht allzu oft gesehen, aber wenn, dann mit größtmöglicher Nähe. Die Lücke, die sie hinterlässt, ist nicht einfach zu füllen.

Natürlich kann ich sie anrufen, und das mache ich auch. Gelegentlich sprechen wir per Internet miteinander, erkundigen uns nach dem Befinden der anderen, nach der jeweiligen Situation, den Umständen. Sille scheint angestrengt, aber aufgeräumt und unternehmungslustig. Ihre Unterkunft, erklärt sie, sei bescheiden, es gebe Sprachprobleme und welche mit der Hierarchie, aber alles in allem gehe es ihr gut. Sie bereue nichts.

Sie bereut nichts. Es trifft mich ins Mark, aber zugleich weiß ich, dass es schlichtweg die Wahrheit ausdrückt: Es ist gut, so, wie es ist. Nur, dass ich es noch nicht zur Gänze erkenne. Erfasse. Erfühle.

Nie spricht Sille darüber, dass ich ihr fehle. Auch ich rede nicht davon, wozu auch? Sille ist fort, und sie kommt nicht zurück. Jedenfalls nicht in nächster Zeit. Vielleicht in einigen Monaten zu einem Besuch. Vielleicht aber auch nicht.

Ohne es nochmals zu erwähnen, wissen wir beide, dass unsere Beziehung sich grundlegend verändert hat. Mehr als das sogar: dass sie vorbei ist.

Der einschneidende Schritt, sich räumlich zu trennen, war ein Signal. Sille hat nicht nur Deutschland verlassen, sondern auch mich. Sie hat sich gegen mich entschieden.

Und gegen uns.

„Aber du“, sagt sie leise eines Morgens am Telefon – sie ist noch nicht zu Bett gegangen, ich bin schon wieder auf –, „aber du hast dich andererseits nie ganz für mich entschieden. Du wolltest keine gemeinsame Wohnung, keine gemeinsamen Pläne. Höchstens den einen oder anderen Urlaub.“

„Und wenn ich ein gemeinsames Haus gewollt hätte, wärst du dann geblieben?“

„Vielleicht“, sagt Sille, und dieses schlichte Wort, in dem so viele entgangene Möglichkeiten enthalten sind, so viel leichtfertig Verschmähtes, dieses Wort raubt mir den Atem. Und jegliche Hoffnung, so gering sie auch sein mochte.

Es ist zu spät. Es ist vorbei. Sille hat mich verlassen und kommt nicht mehr zurück.

Ab jetzt bin ich allein.

„Unternimm was, lenk dich ab“, fordert Ben mich auf. „Mach Sachen, die du schon lange machen wolltest.“

„Was denn?“

Ben hüpft auf einen der steinernen Poller vor dem Kino und springt wieder hinunter. Für einen Moment verzieht er das Gesicht und hält sich den Arm; der Bruch ist längst verheilt, schmerzt aber immer noch.



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